Die Enthüllungen des Papiers, das der “Süddeutschen Zeitung”, dem NDR und dem WDR vorliegt, sorgen für zusätzlichen Ärger bei Audi und Vorstandschef Rupert Stadler. Die VW-Tochter hat nicht nur die bereits von US-Behörden beanstandeten Verstöße begangen, sondern noch viel mehr getrickst. Mit speziellen “Warmlaufprogrammen” zur Abgasreinigung. Einmal in den USA bei Dieselautos und ein zweites Mal in Europa und den USA bei Dieselfahrzeugen und Benzinern. Im ersten Fall geht es darum, wie Audi-Dieselmodelle durch ein “Warmlaufprogramm” die Betriebstemperatur des Katalysators schnell erreichen. Dadurch wird der Schadstoffausstoß reduziert.
Noch schnell das Bundesamt eingeschaltet
In den USA wird dieses Warmlaufprogramm bei offiziellen Abgasmessungen auf dem Prüfstand weit besser genutzt als auf der Straße. Laut dem Volkswagen-Papier wird die wichtigste Stufe 3 “unter Testbedingungen nahezu immer aktiviert”. Unter normalen Fahrbedingungen hingegen wird Stufe 3 nur äußerst selten aktiviert. Diese Information wirkt wie ein Schuldeingeständnis im Namen von Audi. Auf dem Prüfstand wenig Kohlendioxid, auf der Straße jedoch viel CO₂.
Kurz bevor die “Bild am Sonntag” am vergangenen Wochenende darüber berichtete, wandte sich Audi schnell an das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA). In Europa versicherte die VW-Tochter der Behörde, dass es keinen Unterschied zwischen Prüfstand und Straße gebe. Es gibt also keine geschönten CO₂-Werte. Das KBA soll dem zugestimmt haben, allerdings nur mündlich und nicht schriftlich, wie im VW-Papier festgehalten.
Gleichzeitig wird in dem Papier ein zweiter Fall genannt, der Dieselfahrzeuge und Benziner von Audi in Europa und den USA mit Automatikschaltung betrifft. Auf dem Prüfstand wird schneller in den nächsten Gang geschaltet als auf der Straße. Dies führt unter den künstlichen Testbedingungen zu niedrigeren Stickoxid- und Kohlendioxidemissionen als auf der Straße.
Bei den Fahrzeugzulassungen wurden bisher die Prüfstandwerte verwendet. Hat Audi also manipuliert? US-Umweltbehörden kritisierten bereits drei Verstöße im ersten Fall. Auch im zweiten Fall, dem Gangschaltungs-Trick mit Automatikfahrzeugen, könnte Audi Schwierigkeiten bekommen. Es ist möglich, dass die Behörden dies als unzulässig einstufen, wie es im VW-Papier heißt.
Stadler in der Klemme
Die zehn Seiten des VW-Papiers setzen Audi-Chef Stadler unter Druck. Als Betriebswirt ist er seit 1990 bei Audi tätig. Ab 1997 leitete er das Generalsekretariat des Vorstandsvorsitzenden, 2003 wurde er Vorstandsmitglied und 2007 übernahm er die Spitze von Audi. Seit 2010 ist er auch im VW-Konzernvorstand vertreten. Jemand in seiner Position sollte eigentlich wissen, was im Unternehmen vor sich geht, insbesondere seit Beginn des Diesel-Skandals im Volkswagen-Konzern im September 2015. Doch die merkwürdigen Warmlauf-Praktiken sind offenbar erst jetzt aufgefallen und ihre Aufklärung ist noch lange nicht abgeschlossen.
Der technische Hintergrund des Gangschaltungs-Tricks im zweiten Fall ist laut VW-Papier derzeit noch unklar. Und fett gedruckt heißt es: “Der Sachverhalt ist durch Audi noch nicht vollumfänglich ermittelt.” Volkswagen schreibt, dass nach ihrem Kenntnisstand dieses Thema noch nicht im Detail mit dem KBA besprochen wurde. Die Fahrzeuge mit Automatikgetriebe erkennen laut dem Papier anhand des Lenkwinkels, ob sie auf dem Prüfstand stehen und ob sie die günstigere Schaltung für die Abgasreinigung wählen sollen oder nicht. Auf der Straße soll der niedrige Schaltpunkt, der die Emissionen senkt, laut VW-Papier “so gut wie nie” verwendet werden.
Das KBA wurde laut dem Papier erst am 16. September 2016 über diese Vorgehensweise informiert, aber offenbar nicht vollständig. Es wurde lediglich ein “ähnlicher Sachverhalt” vorgestellt. Und weiter heißt es: “Konkrete Lenkwinkelerkennung Behörden nicht bekannt.” Das ist keine ordentliche Aufklärung. Volkswagen geht zwar davon aus, dass der Gangschaltungs-Trick nicht gegen geltendes Recht verstößt, aber dafür werden sehr eigene Argumente angeführt. Das klimaschädliche CO₂ gilt nicht als Schadstoff, und das Getriebe wird als kein Bestandteil des Emissionskontrollsystems betrachtet. Allerdings schließt Volkswagen auch nicht aus, dass die Behörden dies anders beurteilen könnten.
Als am vergangenen Wochenende die “Bild am Sonntag” über den ersten Fall berichtete, tauchten Audi und Vorstandschef Stadler einfach ab. Die VW-Tochter erklärte, dass sie dazu keine Stellungnahme abgeben werde. Es ist schwer vorstellbar, dass die Vertreter von Audi am 5. November dem KBA ohne Wissen des eigenen Vorstands die “Warmlaufprogramme” erläutert haben.