Adoption – Die Furcht vor dem Pflegekind

Adoption – oder: Die Angst vor dem Pflegekind

Adoption ist ein komplexes Thema, das viele Menschen berührt und gleichzeitig Ängste auslöst. Aber warum werden immer weniger Kinder zur Adoption freigegeben? Gibt es heute weniger Stigmatisierung für alleinerziehende Mütter? Oder haben Fortschritte im Bereich staatlicher Unterstützung es ermöglicht, dass alleinerziehende Mütter finanziell und zeitlich in der Lage sind, alleine mit ihren Kindern zu leben?

Im Jahr 2007 wurden in Deutschland insgesamt 4.509 Kinder und Jugendliche adoptiert, was im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang von 5% bedeutete. Von diesen adoptierten Kindern hatten 1.432 oder 32% keine deutsche Staatsangehörigkeit. Die Zahl der Adoptionen in Deutschland nimmt weiter ab und erreichte im Jahr 2009 mit insgesamt 3.888 einen neuen Tiefstand. Seit 1993 hat sich die Zahl der Adoptionen fast halbiert (-48%). Darüber hinaus wurden 55% der Kinder und Jugendlichen von einem Stiefelternteil adoptiert.

Im Jahr 2007 waren 870 Kinder zur Adoption vorgemerkt, während es 8.914 Adoptionsbewerbungen gab. Das Verhältnis von Adoptionsbewerbungen zu vorgemerkten Kindern hat sich von 10 zu 1 im Jahr 2007 auf 9 zu 1 im Jahr 2009 verändert. Gleichzeitig steigt jedoch die Zahl der Kinder, die in Vollzeitpflege außerhalb ihres Elternhauses betreut werden.

Kinder in Fremdunterbringung (pro 10.000)

Adoption – oder: Die Angst vor dem Pflegekind

Quelle: June Thoburn 2007

Dies umfasst die Unterbringung von Kindern oder Jugendlichen in Pflegefamilien, bei Großeltern oder anderen Verwandten. Allerdings haben immer mehr Kommunen Schwierigkeiten, genügend Familien zu finden, die bereit sind, ein Kind in Vollzeitpflege aufzunehmen.

Die meisten Bewerberpaare, die sich an das Jugendamt wenden, sind interessiert an einer Adoption. Das Jugendamt ist gesetzlich verpflichtet, die Eignung der Bewerber zu prüfen. Aber sind Adoptionsbewerber auch gute Pflegeeltern? Wie unterscheiden sich die Beweggründe für die Aufnahme eines Kindes?

Adoptionsbewerber haben in der Regel einen starken Wunsch nach einem eigenen Kind. Viele von ihnen haben bereits zahlreiche Kinderwunschbehandlungen durchlaufen und stehen vor der Entscheidung, ein Leben ohne Kind zu akzeptieren oder ein fremdes Kind aufzunehmen. Die Frauen sind oft eher und früher bereit, sich mit dieser Idee anzufreunden, während die Männer höchstens ein Adoptivkind akzeptieren können. Diese Zurückhaltung kann als Egoismus oder als Unwissenheit gepaart mit der Angst vor der Herausnahme eines Pflegekindes interpretiert werden, wenn sich die Situation der leiblichen Eltern stabilisiert hat. Die Sorge, das Kind nach der emotionalen Bindung wieder abgeben zu müssen, wird oft als Hindernis angesehen.

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Darüber hinaus haben viele Paare Angst vor der Herkunftsfamilie des Kindes, den Besuchskontakten und dem Einfluss, den die leiblichen Eltern möglicherweise immer noch auf das Kind haben könnten. Adoptivfamilien scheinen es schwerer zu fallen, die ursprüngliche Bindung des Kindes an seine Herkunftsfamilie zu akzeptieren. Bei Adoptivkindern, insbesondere aus dem Ausland, können diese Bindungen oft verdrängt werden.

Aber auch ein Adoptivkind hat bereits Eltern und lebt wie ein Pflegekind in einer besonderen Situation mit zwei Elternpaaren. Es ist immer in einer besonderen Position und wird sich irgendwann mit seiner Herkunft auseinandersetzen wollen, Fragen stellen und möglicherweise schwierig werden. Die Motivation zur Aufnahme eines Kindes hat einen entscheidenden Einfluss auf die Einstellung zum Kind und legt den Grundstein für das zukünftige Zusammenleben.

Für Adoptivbewerber kann die Aufnahme eines Pflegekindes bedeuten, dass sie sich wie “Fast-Adoption” fühlen. Aber was bedeutet das für die gesamte Pflegebeziehung?

Selbst nach ausführlichen Beratungsgesprächen und der Abwägung aller Vor- und Nachteile der Aufnahme eines Kindes in Pflege können sich potenzielle Pflegeeltern zunächst eine solche Aufgabe nicht vorstellen. Dies gilt insbesondere für Paare ohne eigene Kinder. Bei Paaren, die bereits eigene Kinder haben, sieht die Situation oft anders aus. Durch die Erfahrungen mit ihren eigenen Kindern sind beide Elternteile oft entspannter. Die Motive, ein “fremdes” Kind aufzunehmen, sind unterschiedlich, aber weniger von vermutetem Egoismus und Angst geprägt. Diese Familien nehmen oft ein Kind auf, weil sie sich in der Lage sehen, emotionale und soziale Verantwortung für ein benachteiligtes Kind zu übernehmen.

Laut Statistischem Bundesamt wurden im Jahr 2006 insgesamt 10.200 Kinder in Pflegefamilien untergebracht. Davon wurden 85% in fremden Familien, also in Pflegefamilien und nicht bei Verwandten, betreut. In 22% der Fälle erfolgte die Unterbringung aufgrund einer Gerichtsentscheidung.

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Aber auch das Jugendamt und die Pflegeeltern oder Adoptiveltern haben unterschiedliche Beweggründe. Keine andere Institution kann den kontinuierlichen emotionalen Rahmen einer Familie langfristig ersetzen. Daher suchen die Ämter verstärkt Familien, die diese Aufgabe übernehmen können. Pflegepersonen müssen umfassend über den Auswahlprozess, Inhalte und Bedingungen informiert werden. Aus Sicht der Ämter entsteht eine Zusammenarbeit, während Pflegeeltern, die möglicherweise selbst einmal Adoptivbewerber waren, oft etwas anderes erleben. Zukünftige Pflegeeltern sind möglicherweise über die Gründe für die Herausnahme des Kindes aus der Herkunftsfamilie informiert, haben jedoch oft keine Vorstellung, wie sich dies im Alltag tatsächlich auswirkt.

Gemäß dem Sozialgesetzbuch (SGB VIII) haben Pflegeeltern vorrangig die Aufgabe, das Kind stellvertretend für die leiblichen Eltern zu erziehen und zu betreuen. Dies mag aus der Sicht von Paaren, die gerne ein eigenes Kind hätten, nicht optimal klingen. Es ist wichtig, dass den Bewerbern ihre eigenen Motive bewusst sind und Ängste oder Vorurteile offen ausgesprochen und hinterfragt werden – sowohl von den Paaren als auch vom Jugendamt.

Bevor ein Pflegeverhältnis beginnt, muss bei den aufnehmenden Personen Klarheit über den Auftrag seitens des Jugendamtes bestehen. Das Pflegekind darf nicht dazu dienen, die Bedürfnisse der Pflegeeltern zu erfüllen, beispielsweise die Kinderlosigkeit besser ertragen zu können. Ein Pflegekind sollte nicht wie ein Adoptivkind behandelt werden.

Ein häufiges Thema in Pflegefamilien ist die mangelnde Anerkennung ihrer Arbeit – nämlich ein fremdes Kind durch das Leben zu begleiten und bis zur Selbstständigkeit zu unterstützen. Bei auftretenden Problemen ist sowohl die Hilfe des Amtes als auch die soziale Anerkennung durch Nachbarn und die Gesellschaft wichtig. Das Selbstverständnis der Eltern und ihr Blick auf das Kind beginnen sich zu verändern.

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Laut einer Studie von Moira Szilagyi, PhD, an der University of Rochester, fühlen sich 18% der Kinder, die in Pflegefamilien leben, nirgendwo zu Hause – weder in ihrer Herkunftsfamilie noch in ihrer Pflegefamilie. Im Gegensatz dazu fühlen sich jedoch 82% der Pflegekinder zu Hause oder zumindest gut aufgehoben in ihren Ersatzfamilien.

Trotz aller Herausforderungen können Pflegeverhältnisse erfolgreich sein und sich alle Beteiligten wohl miteinander fühlen. Pflegeeltern müssen erkennen, dass sie eine Aufgabe im öffentlichen Rahmen erfüllen und dabei auf die Hilfe und Begleitung der Ämter zählen können. Kinder müssen die Pflegefamilie als Zuhause erleben und ein Gefühl der Zugehörigkeit entwickeln können. Durch die gemeinsame Arbeit an förderlichen Handlungsstrategien kann ein neues Selbstverständnis in der Familie entstehen.

Literatur

  • Thoburn, J. (2007) ‘Globalisation and child welfare: Some lessons from a crossnational study of children in out-of-home care’ University of East Anglia, Norwich.
  • Jee SH, Barth RP, Szilagyi MA, Szilagyi PG, Aida M, Davis MM. “Factors associated with chronic conditions among children in foster care.” Journal of health care for the poor and underserved. 2006.
  • Mitteilung des Statistischen Bundesamtes (Destatis) von 2007.

Quelle

Erstveröffentlichung in der Fachzeitschrift „Pflegekinder“ Heft 1/2011, S. 56 – 59, Hrsg. Familien für Kinder gGmbH, Berlin, www.familien-fuer-kinder.de

Autorin

Prof. Dr. Ute A. Belz

Professorin an der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf, Systemische Familientherapeutin und Supervisorin, Diplom-Sozialarbeiterin mit Erfahrung in Bereichen der Kinder- u. Jugendhilfe, ASD, Pflegekinder- und Adoptionsvermittlung, Kindertagespflege

Eingestellt am 17.08.2018