Diskussionen zur Reform des Wohlfahrtsstaats sind so alt wie der Wohlfahrtsstaat selbst. Die jüngsten Reformdiskussionen in Großbritannien und Deutschland bezeichnen jedoch einen grundsätzlichen Wandel des Sozialstaates und seiner normativen Prämissen. Unter Titeln wie “Social Investment State” oder “Aktivierender Staat” werden neue wohlfahrtsstaatliche Leitbilder diskutiert, die bereits erhebliche praktische Bedeutung in der Arbeitsmarktpolitik erlangt haben.
Vom fürsorgenden zum aktivierenden Wohlfahrtsstaat
Die Wohlfahrtsstaaten der westeuropäischen Länder haben sich seit ihrer Entstehung Mitte bzw. Ende des 19. Jahrhunderts unterschiedlich entwickelt. Gosta Esping-Andersen unterschied drei Typen: universalistisch, konservativ-korporatistisch und liberal. Trotz unterschiedlicher Varianten basierten die verschiedenen Wohlfahrtsstaatspolitiken auf einem ähnlichen Verständnis von Freiheit, Gleichheit und sozialen Rechten.
Der fürsorgende Wohlfahrtsstaat entstand mit dem Ziel, die negativen Folgen marktwirtschaftlicher Prozesse abzufedern. Dabei wurden Schutzrechte ausgebaut und Arbeitszwang durch Lohnersatzleistungen gemildert. Reaktive und kompensatorische Sozialpolitik stand im Vordergrund, wobei Geld und Recht zentrale Interventionsformen waren.
Die Ziele des fürsorgenden Wohlfahrtsstaates waren Freiheit von materieller Not und Angleichung materieller Lebens- und Einkommensverhältnisse. Mit Rechtsansprüchen auf materielle Leistungen wurden soziale Sicherungssysteme universalisiert und standardisiert.
Das Staats- und Steuerungsverständnis beruhte auf der Vorstellung eines planenden Staates, der die Gesellschaft aktiv gestalten konnte. Soziale Leistungen wurden über Steuern oder Zwangsbeiträge finanziert und primär im Rahmen staatlicher Organisationen erbracht.
Krise des fürsorgenden Wohlfahrtsstaates
Die Krise des fürsorgenden Wohlfahrtsstaates in den achtziger Jahren führte zur Verbreitung neoliberaler Steuerungsvorstellungen. Eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik und die Verkleinerung des Staates wurden propagiert. Jedoch entstanden in den angelsächsischen Ländern neue soziale Probleme wie Verarmung und Einkommensunterschiede.
In Großbritannien prägte Anthony Giddens den “Dritten Weg” als alternative Regierungsstrategie. Der Social Investment State sollte eine Alternative zum Neoliberalismus und zum keynesianischen Wohlfahrtsstaat darstellen. Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit sollten über sozialstaatliche Interventionen umgesetzt werden. Arbeitsmarktaktivierung und Risikoförderung standen im Mittelpunkt, wobei Bildung eine zentrale Rolle spielte.
In Deutschland wurde der Diskurs zum aktivierenden Staat unter dem Stichwort “Neue Mitte” geführt. Das Konzept des aktivierenden Sozialstaates wurde im Zusammenhang mit der Verwaltungsmodernisierung entwickelt. Es betont partnerschaftliche Lösungsmodelle und die Koproduktion öffentlicher Leistungen.
Das Konzept des aktivierenden Staates in der Kritik
Das Konzept des aktivierenden Staates wird vor allem vor dem Hintergrund der Massenarbeitslosigkeit in Deutschland kritisiert. Die Schaffung ausreichender Arbeitskräftenachfrage bleibt unklar, und es wird ein “Blame-the-Victim-Spiel” befürchtet. Die Umsetzung der Ziele des aktivierenden Sozialstaates erfordert eine umfassende Gewährleistungsverantwortung des Staates, was sowohl sozial- als auch steuerungspolitisch äußerst anspruchsvoll ist. Die Umsetzung des neuen wohlfahrtsstaatlichen Paradigmas erscheint tendenziell vom Scheitern bedroht.
Die Vermutung liegt nahe, dass das Label der Aktivierung in einigen Ländern genutzt wird, um Leistungskürzungen und die Erhöhung des Arbeitszwangs zu rechtfertigen, ohne einen umfassenden Wandel in Richtung aktivierender Sozialstaat zu vollziehen.
Insgesamt ist das Konzept des aktivierenden Staates ambivalent, da es befähigende Politiken mit sozialer Kontrolle verbindet. Es erfordert einen Wandel von Steuerungsstrategien und komplexe Interventionsformen. Eine erfolgreiche Verwirklichung aller Ziele des aktivierenden Staates scheint daher eher unwahrscheinlich.