Alarmierende Befunde zur Sicherheit von Kalziumantagonisten

Alarmierende Befunde zur Sicherheit von Kalziumantagonisten

Kalziumantagonisten wie Verapamil (ISOPTIN, etc.) und Nifedipin (ADALAT, etc.) werden seit mehreren Jahrzehnten millionenfach eingesetzt. Es fehlen jedoch noch prospektive Langzeitstudien, die die günstige Wirkung auf den Krankheitsverlauf und die Sterblichkeit bei Bluthochdruck und Herzischämie belegen. Eine Metaanalyse und einige noch unveröffentlichte Studien haben eine Kontroverse um die etablierte Therapie ausgelöst. Statt des erwarteten Nutzens scheinen bestimmte Kalziumantagonisten dosisabhängig das Risiko zu erhöhen, an den Folgen einer koronaren Herzerkrankung zu sterben oder einen Herzinfarkt bei Bluthochdruck zu erleiden.

Nifedipin-Verbrauch in Deutschland

Deutsche Ärzte verschreiben jährlich mehr als 30 Millionen Packungen Kalziumantagonisten im Wert von 1,5 Milliarden DM. Etwa 60% davon werden zur Behandlung ischämischer Herzkrankheiten und 30% zur Behandlung von Bluthochdruck eingesetzt. Nifedipin macht die Hälfte dieser Verschreibungen aus. Etwa eine halbe Million Menschen nimmt eine kurzwirkende Formulierung des Dihydropyridins ein. Seit der Wende steht CORINFAR (Arzneimittelwerk Dresden) in der Verordnungsgunst vor ADALAT. Nachfolgepräparate, die in den alten Bundesländern den Absatz des ehemaligen Verkaufsschlagers ADALAT schwächen, werden in den neuen Bundesländern kaum verordnet.

Die Metaanalyse hat Kritik hervorgerufen, insbesondere aufgrund unzureichender statistischer Absicherung bezüglich des Alters und der inhomogenen Auswahl der Studien. “Schon ein verdorbener Fisch lässt eine Bouillabaisse stinken”, kommentiert ein Kliniker aus New Orleans, der von Bayer als Befürworter für Kalziumantagonisten hinzugezogen wurde, die zunehmenden Bedenken bezüglich der kurzwirkenden Nifedipin-Präparate. Behauptungen, dass langwirkende Kalziumantagonisten “sicher und wirksam” sind, können aufgrund fehlender prospektiver Langzeitstudien nicht belegt werden. Das US-amerikanische National Heart, Lung and Blood Institute warnte Anfang September in einer offiziellen Stellungnahme vor der Anwendung kurzwirkender Nifedipin-Präparate. Solche Zubereitungen sollten, “wenn überhaupt, nur mit großer Vorsicht bei Bluthochdruck, Angina pectoris oder Herzinfarkt verwendet werden, insbesondere in hohen Dosierungen”. Die britische Hypertonie-Gesellschaft hat ihre Empfehlungen, die auch Kalziumantagonisten umfassen, vorübergehend ausgesetzt. Die Schweizerische Vereinigung gegen hohen Blutdruck hält die Mittel weiterhin für einsetzbar, betont jedoch die Notwendigkeit einer differenzierten Verwendung, um mögliche Risiken zu vermeiden. Eine Stellungnahme der deutschen Hochdruckliga steht noch aus.

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Zum Sachverhalt

Eine Reihe neuer Veröffentlichungen postuliert zunehmende kardiale Risiken und Übersterblichkeit bei Bluthochdruckpatienten und Patienten mit koronarer Herzkrankheit, die Kalziumantagonisten einnehmen.

  • Nach der soeben veröffentlichten Metaanalyse von 16 kontrollierten Studien mit insgesamt 8.350 Patienten mit koronarer Herzkrankheit gefährdet dosisabhängiges kurzwirkendes Nifedipin die Lebenserwartung. Im Vergleich zu Placebo verdreifacht eine tägliche Dosis von 80 mg nahezu das Mortalitätsrisiko, während niedrigere Dosen von 60 mg (relatives Risiko 1,18) oder 30 bis 60 mg (1,06) statistisch nicht signifikant sind.
  • In einer Fallkontrollstudie erhöhen kurzwirkende Kalziumantagonisten vom Nifedipin-, Diltiazem- und Verapamil-Typ das Herzinfarktrisiko bei Bluthochdruckpatienten um jeweils 60% im Vergleich zu Diuretika oder Betablockern. Mit höherer Dosis steigt das Risiko durch Kalziumantagonisten, während unter Betablockern mit zunehmender Dosis weniger Myokardinfarkte auftreten.
  • Das Sterberisiko von Bluthochdruckpatienten, die einen Kalziumantagonisten oder Betablocker einnehmen, nimmt unter Nifedipin deutlich zu, unter Diltiazem jedoch nicht signifikant und unter Verapamil überhaupt nicht.
  • Die noch nicht veröffentlichte Multicenter Isradipine Diuretic Atherosclerosis Study (MIDAS) vergleicht den Dihydropyridin-Abkömmling Isradipin mit Diuretika. Es zeigt sich ein “Trend” zu häufigeren kardiovaskulären Ereignissen unter der Hochdrucktherapie mit Isradipin.

Gleiche Wirkungen und doch beachtenswerte Unterschiede

Es gibt weltweit mehr als 35 Kalziumantagonisten im klinischen Gebrauch. Alle wirken antianginös und antihypertensiv, indem sie die glatte Gefäßmuskulatur erweitern, indem sie den Einstrom von extrazellulärem Kalzium über Kalziumkanäle hemmen. Die verschiedenen Wirktypen unterscheiden sich nicht nur durch ihre Bindung am Kalziumkanal. Dihydropyridine erhöhen die Herzfrequenz, während Vertreter vom Verapamil- und Diltiazem-Typ die AV-Überleitung hemmen und sich unter Umständen auch gegen ventrikuläre Extrasystolen und Tachyarrhythmien verwenden lassen. Es gibt erste Berichte über eine Verschlechterung der Blutversorgung des Herzens unter Nifedipin, die sich anhand einer Zunahme der Angina pectoris-Symptome zeigt. Patienten mit noch nicht ausgebildetem Kollateralgefäßbett haben wahrscheinlich weniger zu befürchten.

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Folgen für den klinischen Gebrauch

Wenn auf Nifedipin nicht verzichtet werden kann, sollte die Dosis sorgfältig titriert werden, um einen plötzlichen Blutdruckabfall zu vermeiden. Empfehlungen zur Hochdrucktherapie basieren auf Surrogatkriterien wie der Blutdrucksenkung und nicht auf klinisch bewiesenem Erfolg. Thiazid-Diuretika und Betarezeptorenblocker haben sich in kontrollierten Langzeitstudien als lebensverlängernd erwiesen und gelten als Mittel der ersten Wahl. Es gibt klare Nettoeffekte in Bezug auf die Verringerung von Schlaganfällen, Herzinfarkten und tödlichen Herz-Kreislauf-Komplikationen. Niedrige Thiazid-Dosierungen wirken besser und verträglicher als hohe Dosen. Kalziumantagonisten oder ACE-Hemmer kommen in Betracht, wenn Mittel der ersten Wahl nicht vertragen werden oder eine weitergehende Blutdrucksenkung erforderlich ist. Für kurzwirkendes Nifedipin gibt es noch wenige Anwendungsbereiche, wie bei Patienten mit akutem Blutdruckabfall oder Raynaud-Erkrankung. Langzeitstudien werden derzeit mit retardiertem Nifedipin und Nifedipin-Abkömmlingen wie Amlodipin, Felodipin und Nitrendipin durchgeführt. Vorläufige Ergebnisse einer einfachen Blindstudie lassen eine positive Beeinflussung von Begleiterkrankungen und Tod erkennen. Bei einer Umstellung sollte die äquieffektive Tagesdosis für die Blutdrucksenkung berücksichtigt werden.

Solange der Verdacht einer Übersterblichkeit nach Kalziumantagonisten bei koronarer Herzkrankheit nicht widerlegt ist, haben Langzeitnitrate und Betarezeptorenblocker Vorrang in der Behandlung der stabilen Angina pectoris. Bei instabiler Angina pectoris sollten Kalziumantagonisten nicht oder nur in Kombination mit Betablockern verwendet werden, wenn Nitrate und/oder Betablocker nicht ausreichend wirken. In der Frühphase des akuten Herzinfarkts sind alle Kalziumantagonisten kontraindiziert. Thrombolyse, Azetylsalizylsäure und Betablocker ohne intrinsische Aktivität bleiben die Mittel der Wahl. ACE-Hemmer scheinen auch die Überlebenschance von Infarktpatienten mit Herzinsuffizienz zu verbessern.

Fazit: Nach jahrzehntelanger Massenverordnung von Kalziumantagonisten nehmen die Bedenken gegen ihre breite Verwendung zu. Strategien für die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen erfordern harte klinische Nutzdaten. Niedrigdosierte Thiaziddiuretika und “kardioselektive” Betablocker haben sich als wirksam erwiesen. Nach einem Herzinfarkt reduzieren Azetylsalizylsäure und Betablocker die Reinfarktrate und Mortalität.

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