In den letzten Wochen haben sich mehrere Gewalttaten ereignet, die die Behörden vor ernste Herausforderungen gestellt haben. Dabei stellt sich immer wieder die Frage: Handelt es sich hierbei um einen Terroranschlag oder einen Amoklauf?
Die Unterscheidung fällt schwer
Ein 17-jähriger Flüchtling aus Afghanistan greift Fahrgäste in einer Regionalbahn mit einer Axt an. Ein 18-jähriger deutsch-iranischer Schüler schießt in einem Einkaufszentrum gezielt auf Menschen. Ein 27-jähriger Syrer zündet am Eingang eines Musikfestivals Sprengstoff. Alle diese Fälle ereigneten sich innerhalb einer Woche in Deutschland. Die Sicherheitsbehörden mussten in jedem Fall entscheiden: Handelt es sich um einen Terroranschlag oder einen Amoklauf?
Innenminister Thomas de Maizière bezeichnete den Axt-Angriff als einen Grenzfall zwischen Amoklauf und Terrorismus. Bei der Bluttat in München ging die Polizei zunächst von einem Amoklauf aus, später warnte sie jedoch vor einer “akuten Terrorlage”, bevor klar wurde, dass es sich um einen klassischen Amoktäter handelte. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann betrachtet die Tat in Ansbach hingegen als einen “echten islamistischen Selbstmordanschlag” – also als Terroranschlag.
Verwischte Grenzen
Die Abgrenzung zwischen den beiden Begriffen ist nicht immer eindeutig. Das Wort “Amok” stammt aus dem Malaiischen und bedeutet “wütend” oder “rasend”. Amokläufe werden als spontane, ungeplante Angriffe mit Tötungsabsicht auf unbeteiligte Personen verstanden. Die Weltgesundheitsorganisation definiert einen Amoklauf als eine scheinbar willkürliche und nicht provozierte Episode von mörderischem oder destruktivem Verhalten, gefolgt von Amnesie oder Erschöpfung. Viele dieser Episoden enden in Suizid. In den USA werden als Amokläufe “Massentötungen von mindestens drei Personen in einer Situation” betrachtet. Laut den Polizeidienstvorschriften der Bundesländer ist eine Amoklage dadurch gekennzeichnet, dass der Täter anscheinend wahllos oder gezielt mit Waffen, Sprengstoff oder anderen gefährlichen Werkzeugen eine unbestimmte Anzahl von Personen verletzt oder tötet – oder dies zu erwarten ist.
Gemeinsame Merkmale
Wissenschaftler der Universität Gießen um Britta Bannenberg haben kürzlich eine umfassende kriminologische Analyse bisheriger Amokläufe in Deutschland vorgestellt. Sie definieren Amokläufe kurz als “Mehrfachtötungen mit unklarem Motiv”. Dennoch sehen die Gießener Kriminologen große Ähnlichkeiten zwischen Amokläufern, Terroristen, Hassdelikten und Massenmorden. Sie weisen ausdrücklich darauf hin, dass der Begriff “Amok” sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus polizeilicher Sicht problematisch ist.
Der entscheidende Unterschied liegt hauptsächlich im Motiv der Täter. Amokläufer planen ihre Taten oft langfristig und detailliert. So hat beispielsweise der Münchner Täter seine Tat ein Jahr lang vorbereitet und Waffen sowie Munition im Darknet besorgt. Er hat ein Manifest verfasst und einen gefälschten Facebook-Account benutzt, um potenzielle Opfer anzulocken. Gemäß den bisherigen Informationen passt er in das Profil eines psychisch auffälligen Einzelgängers mit einer Mischung aus Wut, Hass und Rachegefühlen, die nicht rational begründet sind. Was jedoch fehlt, ist jeglicher ideologische Hintergrund. Es geht dem Täter offenbar nur um seine eigene Inszenierung und nicht um gesellschaftliche Veränderungen oder politischen Einfluss.
Das ist wohl der entscheidende Unterschied zum Terrorismus, obwohl es auch viele Gemeinsamkeiten zwischen den Tätergruppen gibt. Terroristen greifen gezielt Zivilisten und symbolträchtige Ziele an, um Angst und Schrecken zu verbreiten und Verunsicherung auszulösen. Dabei betrachten sie ihre eigene Ideologie als überlegen und verbreiten diese oft auch propagandistisch. Ihr Ziel ist die Zerstörung des gegenwärtigen gesellschaftlichen Status quo und die gewaltsame Durchsetzung politischer, religiöser oder ideologischer Veränderungen.
Juristische Einordnung
Juristisch gesehen spielt es keine Rolle, ob die Morde eines Einzeltäters als Amoklauf oder als Terroranschlag eingestuft werden. Die Anklage würde in beiden Fällen auf mehrfachen Mord lauten. Unterschiede würden sich jedoch bei der Strafe ergeben. Bei der psychologisch-forensischen Begutachtung eines Amokläufers wären Hinweise auf eine psychische Erkrankung zu erwarten, was sich strafmildernd auswirken könnte. Terroristen hingegen sind sich im juristischen Sinne der Unrechtmäßigkeit ihrer Taten bewusst und somit voll schuldfähig, auch wenn ihr Weltbild oft als verrückt erscheint.
Es ist wichtig, die Unterschiede zwischen Amokläufen und Terroranschlägen zu verstehen, um angemessen und gezielt darauf reagieren zu können. Obwohl sie gewisse Gemeinsamkeiten aufweisen, sind ihre Motive und Ziele grundlegend verschieden.