Früher war er Anarchist, heute versteht er sich als Marxist. Seine Vergangenheit lässt John Molyneux trotzdem nicht los, nun hat er sogar ein Buch über den Anarchismus geschrieben. Ein Gespräch über Arbeiterinnen und Arbeiter, Macht und Lifestyle.
Was gefällt John Molyneux am Anarchismus?
Für John Molyneux ist die Entwicklung der anarchistischen Bewegung ein positives Zeichen dafür, dass junge Menschen weltweit gegen das System aufbegehren. Besonders beeindruckt hat ihn die Bewegung der Indignados in Spanien und die Besetzung des Syntagmaplatzes in Athen. Diese spontane, libertäre Rebellion zeigt den Antiautoritarismus und das Streben nach echter menschlicher Freiheit, das Marxisten und Anarchisten teilen.
Unterschiede zwischen Anarchismus und Marxismus
Die wichtigsten Meinungsunterschiede zwischen Anarchismus und Marxismus betreffen die Frage des Staates und die Rolle von Führung und Parteien in der Bewegung. Für Molyneux ist die Staatsfrage zentral. Die Vorstellung, den Staat einfach durch einen Willensakt abzuschaffen und danach keinen Arbeiterstaat zu benötigen, ist laut ihm ein Rezept für die Niederlage. Um den Kapitalismus zu stürzen und eine Überlebenschance für die Menschheit zu haben, ist eine passende Strategie notwendig.
Anarchismus im Hier und Jetzt
Das Bedürfnis nach einem “besseren Leben im Hier und Jetzt” ist ein Kennzeichen vieler heutiger Anarchisten. Allerdings war der Anarchismus in der Vergangenheit politischer und enger mit der Arbeiterbewegung verbunden. Dieser Wandel hängt auch mit der sozialen Zusammensetzung der Bewegung zusammen. Der Anarcho-Syndikalismus mit seinem engen Verhältnis zu Arbeitern und Gewerkschaftern unterscheidet sich deutlich von einem anarchischen Lifestyle am Rande der Gesellschaft. Molyneux betont, dass es notwendig ist, die soziale Basis zu stärken, um die Gesellschaft umzukrempeln.
Der Anarchismus jenseits des Schwarzen Blocks
Die Medien verunglimpfen den Anarchismus oft, indem sie ihn auf Steinewerfer und den Schwarzen Block reduzieren. Tatsächlich umfasst der Anarchismus jedoch viele unterschiedliche Tendenzen, von denen der Schwarze Block lediglich eine kleine Minderheit ist. Molyneux solidarisiert sich mit den Anarchisten gegenüber den Medien, auch wenn er ihre Theorien nicht teilt. Er plädiert für eine offene Auseinandersetzung über diese Fragen.
Die Ablehnung von Parteien und Organisationen
Die Ablehnung von Parteien und Organisationen in sozialen Bewegungen wie Occupy oder den Indignados ist verständlich angesichts der korrupten Rolle politischer Parteien. Allerdings war es eine Illusion zu glauben, dass diese Bewegungen alleine die richtigen Antworten hatten und die herrschende Klasse einfach verschwinden würde. Molyneux betont, dass eine Revolution nicht ohne eine Auseinandersetzung mit dem Staat und der Mobilisierung der Arbeiterklasse möglich ist.
Das Konsensprinzip in sozialen Bewegungen
Das Konsensprinzip ist hervorragend, wenn es einen Konsens gibt. Doch bei ernsthaften strategischen Differenzen ist das Konsensprinzip lähmend. Molyneux weist darauf hin, dass es Zeiten gibt, in denen eine Entscheidung getroffen werden muss, auch wenn dies nicht dem Konsens aller entspricht.
Die Eroberung der Macht
Die Eroberung der Macht bedeutet für Molyneux nicht die Inbesitznahme des bestehenden Staatsapparats. Es geht darum, dass arbeitende Menschen die Kontrolle über die Gesellschaft in ihrem Sinne übernehmen und demokratische Räte von unten bilden, um einen Arbeiterstaat aufzubauen. Molyneux betont die Notwendigkeit einer Staatsmacht, um die Revolution zu verteidigen.
Anarchismus und Theorie
Im Vergleich zu den Marxisten gibt es keine umfassende anarchistische Theorie der Gesellschaft. Anarchisten stimmen zwar in vielem mit Marx’ Analyse des Kapitalismus überein, übersehen jedoch seine Analyse der Arbeiterklasse als Totengräber des Kapitalismus. Wenn überhaupt von einer anarchistischen Theorie gesprochen werden kann, hat sie ihre Wurzeln im Autonomismus.
Gemeinsame Geschichte und Zukunft von Anarchisten und revolutionären Sozialisten
In der Geschichte gab es Zeiten, in denen Anarchisten und revolutionäre Sozialisten zusammenkämpften. Molyneux hofft darauf, dass sie auch in Zukunft wieder gemeinsam gegen den Kapitalismus kämpfen werden.
John Molyneux war Professor am Institut für Kunst, Design und Medien der Universität Portsmouth und ist Autor des Buches “Marxismus und Anarchismus”.