Brutto und Netto in der Kita

Brutto und Netto in der Kita

Die Qualität in Kindertageseinrichtungen wird oft anhand von Zahlen gemessen. Eine aktuelle Studie von Bertelsmann zeigte einen positiven Trend: Im Jahr 2017 war ein Betreuer für durchschnittlich 4,3 Krippenkinder und 9,1 Kindergartenkinder zuständig. In Baden-Württemberg lag das Verhältnis sogar bei 1:3,1 in Krippen und 1:7,1 in Kindergärten. Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern hingegen hatten schwächere Werte.

Allerdings gibt es Kritik aus der Praxis. Erni Schaaf-Peitz, Leiterin der Kita Wittlich-Neuerburg in Rheinland-Pfalz, bemängelt, dass trotz besserer Zahlen keine Verbesserungen feststellbar sind. Für sie ist nicht der Personalschlüssel relevant, sondern die Beziehung zwischen Betreuer und Kind.

Bruttoarbeitszeit und Nettobetreuungszeit

Der Unterschied zwischen Personalschlüssel und der Betreuer-Kind-Beziehung ist für Erzieherinnen und Erzieher besonders wichtig. Der Personalschlüssel betrachtet die bezahlte Arbeitszeit einer Fachkraft im Verhältnis zu den zu betreuenden Kindern und den Betreuungszeiten über ein Jahr hinweg. Doch dieser Wert ist theoretisch. Die Betreuer-Kind-Beziehung hingegen berücksichtigt Urlaubs-, Krankheits- und Fortbildungszeiten sowie die pädagogische Vor- und Nachbereitung von Elterngesprächen. Dies ist die “Nettozeit”, die der Betreuerin oder dem Betreuer tatsächlich für jedes einzelne Kind bleibt.

Laut der Bertelsmann Stiftung macht die mittelbare pädagogische Arbeit einschließlich Ausfallzeiten mindestens 25 Prozent aus. Schaaf-Peitz hingegen schätzt den Anteil auf ein Drittel. Selbst wenn man die direkte pädagogische Arbeit nur mit 75 Prozent berechnet, ändern sich die Werte aus der Bertelsmann-Studie erheblich. Baden-Württemberg, das einen Personalschlüssel von 1:7,1 aufweist, landet so bei einer Betreuer-Kind-Beziehung von 1:9,5. Mecklenburg-Vorpommern hingegen kommt von 1:13,4 auf 17,8 Kinder pro Betreuer. Laut Björn Köhler von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) bewegen wir uns damit an der Grenze zur Gefährdung des Kindeswohls.

“Seit 2010 habe ich keinen einzigen Tag erlebt, an dem wir vom Personal vollständig waren.” – Erni Schaaf-Peitz

Im Arbeitsalltag ist es oft schwierig, die tatsächliche Betreuer-Kind-Beziehung zu ermitteln, da viele Faktoren berücksichtigt werden müssen. Öffnungszeiten, Hauptbetreuungszeiten, Anwesenheit von Betreuern und Anzahl der Kinder spielen eine Rolle. Die Kita Wittlich-Neuerburg betreut 107 Kinder zwischen null und sechs Jahren zu flexiblen Öffnungszeiten von 7 bis 17 Uhr. Für die Leiterin und ihr Team ist dies eine tägliche Herausforderung. Auf dem Papier gibt es einen Stellenschlüssel von 18,5, aber in der Praxis sind nie alle Betreuer da. Es gibt unbesetzte Stellen, Langzeiterkrankungen, normale Krankheitsphasen im Winter und generell Fachkräftemangel.

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“Der Markt ist leer. Und woher sollen wir die Leute nehmen, wenn überall Fachkräftemangel herrscht?” Wir kommen bei weitem nicht an das wissenschaftlich empfohlene Verhältnis von 1:3 in Krippen und 1:7 oder 1:8 in Kitas heran. Schaaf-Peitz betont: “Wir wissen aus zahlreichen Studien genau, was ein Kind braucht. Unser Problem ist nicht das fehlende Wissen, sondern die Umsetzung.”