Schatz, wo sind die Autoschlüssel? Ich will kurz Brötchen holen! – Bäcker, Supermarkt, Kindergarten, Freunde sind oft nur einen Katzensprung entfernt. Dennoch werden Fahrten dorthin sehr häufig mit dem Auto zurückgelegt. Immer noch. Diese Kurzstrecken sind nicht nur ökologischer Unsinn, auch ökonomischer. Mit dem Fahrrad ist man dagegen umweltfreundlicher und günstiger unterwegs, und fast immer schneller.
Eine zunehmend beliebte, aktive, umweltfreundliche Alternative zum Familienauto sind Cargobikes. Dabei müssen sie generell mehrere Aufgaben bewältigen: Fahrrad sein, Kinder kutschieren und Einkäufe aller Art schultern. Dafür gibt es verschiedene Typen: für Familien (aber nicht nur) bieten sich als Großtransporter drei Varianten an: Long-John, Long-Tail und Box-Dreirad. Für hauptsächlichen Lastentransport gibt es noch weitere Bauarten.
Cargobikes: Die Zeit ist reif
Lasten-Familientransporter gibt es schon seit Jahrzehnten. Das Kopenhagener Christiania-Dreirad mit der kantigen Box und dem Lenkbügel ist eines der bekanntesten. Seitdem ist viel passiert. Parallel zur Nachfrage ist auch das Angebot stetig gewachsen. Die modernen Räder haben aber nicht nur bei der Varianz gewonnen. Auch in Sachen Komfort und Fahreigenschaften ist die Entwicklung weitgehend erfolgreich verlaufen. Ebenso beim Design. Das Auge fährt ja schließlich mit.
Normalerweise testen wir nur Räder ohne Motoren, bei Cargobikes machen wir bewusst eine Ausnahme. Sie sind ohne Motor nur selten gut zu benutzen, schon wegen ihrer hohen Eigengewichte. Motorisiert machen sich die dagegen kaum bemerkbar. Die E-Herzen im Test schlagen alle kräftig genug und haben noch ausreichend Reserven für die teils hohen Zulade-Möglichkeiten von bis zu 200 Kilogramm samt Fahrer.
Gängig ist der Bosch Cargo Line-Motor mit 85 Newtonmetern (Nm) und auf Schwerlast ausgelegter Leistungskurve. Die Spitze markiert der Motor von Sachs am Radkutsche mit enormen 112 Nm Drehmoment. Mit 70 Nm hat der Yamaha-Motor am niederländischen Babboe-Dreirad (dem mit 75 Kilogramm schwersten Rad im Test) die wenigste Kraft. Sie reicht aber selbst an moderaten Steigungen gut aus. Interessant ist sein Automatikmodus. Damit regelt sich die Unterstützung selbstständig je nach Anforderung und gewinnt so Akkulaufzeit.
Stufenloses Schalten – Komfort pur
Vergesellschaftet sind die Motoren hier mehrheitlich mit einem stufenlosen Getriebe von Enviolo. Das ist robust und angenehm geschmeidig in der Übersetzungsanpassung. Ca Go und Urban Arrow bieten sogar die Automatik-Version. Sie nimmt den Fahrern die Arbeit ab und lässt sich sogar konfigurieren, surrt aber ähnlich laut wie die Motoren. Yuba, Tern und Bergamont schalten mit zackiger 10-Gang-Kassette, Hagen Bikes mit sportlicher Alfine 8-Nabe. In allen Fällen reicht die Übersetzung für die üblichen Anwendungen auch bei moderaten Steigungen aus.
Mitunter werden auch andere Schaltungs- oder Motorvarianten angeboten. Etwa der Shimano Steps, der im Test vermutlich wegen schwieriger Verfügbarkeit nicht vertreten ist. Ein unmotorisiertes Cargo-Rad kann recht einfach mit einem Pendix-System nachgerüstet und bei Bedarf auch wieder zurückgebaut werden (Um die Nachrüstung an Werksfahrrädern geht es im Artikel ab Seite 70).
Unterschiedliches Platzangebot bei den Cargobikes
Hier unterscheiden sich sehr grundsätzlich die beiden übergeordneten Typen Long-Tail und Box-Fahrrad (Ein- und Mehrspurer).
Auf dem langen Heck der Long-Tails ist es schwieriger, umfangreiche Einkäufe zu transportieren. Es sei denn, man nutzt die oft optionalen großen Seitentaschen, die zusätzlich auf den Fußbrettern abgestellt sind. Damit lassen sich auch 60, 70 kg zuladen. Bei Yuba können zudem die Fußbretter zu einem Rahmen für Kistentranport umfunktioniert werden. Bei Tern kann man Euroboxen in die Umlaufstange stellen. Ansonsten ist der Hauptzweck wohl eher Kinder- (oder Erwachsenen-)Transport. Je länger das Heck, desto besser können auch zwei (oder drei) Kinder Platz nehmen. Ein umlaufendes Gestänge dient dem (eingeschränkten) Schutz und zum Festhalten. Sitzpolster sorgen für Komfort. Auch Kindersitze lassen sich in den Trägergestellen montieren. Wichtige Eckpunkte für die Mitnahme von Erwachsenen haben wir übrigens ab Seite 46 zusammengestellt.
Dem Wetter sind Passagiere hier aber stark ausgeliefert. Als Lösung bietet besonders Tern eine aufwändige (Mehrzweck-)Kabine an, die allerdings ein Block im Wind sein kann. Yuba bietet eine ähnliche, aber einfachere Wetterkabine an.
Rundumschutz für Passagiere
Mehr Volumen für Einkäufe, mehr Rundumschutz für Passagiere bieten die Box-Räder. Die Wannen fassen nicht selten 200 Liter. Je nach Bauart kommen zwei, drei oder vier Kinder unter, solange sie kleiner sind. Denn der Platz ist vor allem in der Breite eher begrenzt. Erst recht, wenn die Boxen so aufwändig dickwandig - und damit sehr aufprallsicher - gebaut werden wie etwa bei Ca G0. Oder wenn sie auch allgemein windschnittig schlank sind wie bei Urban Arrow.
Dünne Boxwände schaffen zwar mehr Innenraum, bieten aber kaum oder weniger Schutz - vor allem wenn sie aus dünnem Plastik gemacht sind wie beim (sehr schicken) Butchers & Bicycles. Kinder sitzen in der Box auf Bänken oder Sitzen entweder tief und tendenziell sicherer oder höher und bequemer, ergonomischer. Ein fast unlösbarer Konflikt. Mit speziellen Adaptern lassen sich auch Babyschalen nutzen. Generell eignen sich Box-Räder eher für kleinere Kinder und Long-Tails für größere Kinder oder Erwachsene.
Verdecke mit großen Sichtfenstern schaffen Wetterschutz und gute Aussicht. Je größer die Einstiegsöffnungen, desto einfacher kann die Box geentert werden. Dabei helfen außenliegende Trittstufen. Bei Long-Tails müssen sich Kinder vor allem unter dem Handlauf durchschlängeln.
Sicherheit geht vor
Ein klassisches Transportdreirad wie das Babboe ist sehr standstabil, liest aber das Bodenprofil sehr genau aus. Zudem lenkt es in Kurven samt leicht kippendem Heck aus. Kurven, besonders mit Gefälle, oder im flachen Winkel angefahrene Kanten sind sehr gewöhnungsbedürftig. Auf einem Einspurer gleicht man das automatisch aus. Für das gleiche geschmeidige Fahrgefühl setzt Butchers & Bicycles daher auf eine aufwändige Neigetechnik in der Frontachse.
Generell stabilisiert ein niedriger Schwerpunkt das Fahrverhalten eines jeden Fahrrades. Mit großer Zusatzlast gewinnt er weiter an Bedeutung. Mit kleinen Rädern und niedrigem Schwerpunkt (Tern etwa) fährt sich ein Transporter spürbar stabiler als mit hohem Schwerpunkt. Auch die ganze Handhabung fällt damit leichter. Long-Johns haben per se einen tiefen Kipppunkt, müssen dafür aber eine Weichheit in der Länge vermeiden. Im Test tun sie das alle sehr erfolgreich. Und zwar so, dass man sie auch kurz einhändig sicher fahren kann, um etwa Handzeichen zu geben.
Um keine Illusion aufkommen zu lassen: Mit Beladung fährt sich jedes Rad anders als ohne. Daran muss man sich immer gewöhnen. Das geht mal schneller, mal langsamer.
Platz, bitte!
Um Familie und Alltag zu bewältigen, fallen die Transporträder ein gutes Stück größer, höher, breiter aus als normale Fahrräder. Dazu kommt das Gewicht. Über eine steile, enge Kellertreppe lässt sich nicht mal ein so kompaktes Modell wie das Tern GSD wuchten. Kommt man über eine flache Rampe oder ebenerdig in einen Abstellraum, ist es klar im Vorteil. Trotz ihrer Länge lassen sich auch sehr wendige Räder wie das Ca Go oder das Carqon (beide mit Seilzuglenkung und reichlich Lenkeinschlag) noch gut handhaben.
Ein fester Griff am Sattel hilft da auch. Oder manches Long-Tail. Bei ihnen können in engen Kellern die Umlaufstange oder Fußbretter am Heck hinderlich sein. Alternativ bleibt nur die Garage oder ein anderer offener oder wenigstens überdachter Standort. Das gilt besonders für die Dreiräder. Auch hier hilft es, wenn das Rad wendig ist oder einen robusten Griff an Sattel oder Träger besitzt.
Für ein praktisches, hochwertiges Transportrad kommt ein Menge Fahrrad, Technik, Material und Hirnschmalz zusammen. Das kostet. Entsprechend liegen die Preise leicht im mittleren und hohen Tausender-Bereich. Das ist immer noch günstiger als Gebrauchtwagen.
Was den Kindern gefällt
Ganz entscheidend ist auch das Urteil der Kinder. Deshalb hier – last but not least – ihre Vorlieben: Platz und Raum, ein geräumiger Wetterschutz mit großen Fenstern und Belüftung, bequeme Sitze, einfacher Ein- und Ausstieg; auf dem Gepäckträger rückwärts fahren und wenn es so schön rumpelt. Ob das aber auch auf längeren Fahrten als bis zur Kita gilt? So oft kommt das ja zum Glück nicht vor.
Diese Familien-Cargobikes haben wir getestet
- Babboe Curve Mountain: 4549 Euro
- Bergamont E-Cargoville LT Expert: 4599 Euro
- Tern GSD S10: 5399 Euro
- Carqon Cruise: 5499 Euro
- Radkutsche Rapid 6017: Euro
- Riese & Müller Multicharger GT vario 750: 6018 Euro
- Yuba Spicy Curry All Terrain: 6222 Euro
- Hafen Cargo Bikes Flagship Modell: 6306 Euro
- Urban Arrow Family Anniversary: 7590 Euro
- Butchers & Bicycles MK1-E Gen. 3: 8800 Euro
- Ca Go FS 200: 8990 Euro
Die ausführlichen Testberichte lesen Sie in der ElektroRad 5/2022.