Das deutsche Gesundheitssystem im internationalen Vergleich

Das deutsche Gesundheitssystem im internationalen Vergleich

Mit einem Blick auf das deutsche Gesundheitssystem wird schnell deutlich, dass viele Aspekte in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich verbessert wurden. Die Lebenserwartung ist seit 1970 um mehr als 10 Jahre gestiegen und die Überlebenschancen bei den meisten Krebsarten haben sich in den letzten 15 Jahren erhöht. Allerdings steht Deutschland vor der Herausforderung, die Finanzierung einer qualitativ hochwertigen und umfassenden Gesundheitsversorgung langfristig sicherzustellen. Der demografische Wandel und der Anstieg chronischer Erkrankungen bei gleichzeitigem Rückgang des Arbeitskräftepotenzials werden das Gesundheitssystem beeinflussen. Daher ist es wichtig, die Performance des deutschen Gesundheitssystems im internationalen Vergleich zu betrachten.

Ausgaben und Finanzierung

Deutschland gibt besonders viel Geld für Gesundheit aus. Im Jahr 2018 betrugen die Gesundheitsausgaben 11,2% des BIP. Nur die Vereinigten Staaten (16,9%) und die Schweiz (12,2%) geben einen höheren Anteil aus. Im Durchschnitt der 36 OECD-Staaten liegt der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP bei 8,8%. Der Großteil dieser Ausgaben wird von staatlichen Programmen und öffentlichen oder privaten Pflichtversicherungen getragen. In Deutschland finanzieren diese Träger rund 84% aller Kosten, während es im Durchschnitt der OECD-Staaten 74% sind. Die privaten Haushalte tragen 13% der Kosten, was deutlich weniger ist als der OECD-Schnitt von 21%. Der Anteil der freiwilligen privaten Krankenversicherung in Deutschland liegt mit 1% ebenfalls unter dem OECD-Schnitt von 4%.

Systemdualität und Versorgungszugang

Ein besonderes Merkmal des deutschen Gesundheitssystems ist die “Systemdualität” zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Etwa 11% der deutschen Bevölkerung sind vollständig bei einem privaten Versicherer versichert. Nur Chile hat ein vergleichbares System, in dem Personen die gesetzliche Krankenversicherung verlassen und stattdessen einen Vertrag mit einem privaten Versicherer abschließen können. Zusatzversicherungen spielen auch in vielen anderen Ländern eine Rolle. In Deutschland hat etwa jeder Vierte eine Zusatzversicherung.

LESEN  Bürokratischer Aufwand: 5 spannende Fakten zur Pflegedokumentation

Der hohe Mitteleinsatz in Deutschland sorgt für einen sehr guten Zugang zum Gesundheitssystem. Im internationalen Vergleich verzichten relativ wenige Menschen auf medizinische Behandlung aufgrund hoher Kosten oder langer Wartezeiten. Dies ist unter anderem auf die hohe Verfügbarkeit von medizinischem Personal und Infrastruktur zurückzuführen. Deutschland hat eine höhere Anzahl von Ärzten und Krankenpflegern pro tausend Einwohner als der Durchschnitt der OECD-Staaten. Die Zahl der Krankenhausbetten pro tausend Einwohner ist ebenfalls die höchste in der EU. Trotzdem gibt es regionale Versorgungsunterschiede, insbesondere im ambulanten Bereich.

Qualität der Versorgung

Die Qualität der Versorgung in Deutschland zeigt ein gemischtes Bild. Bei Akutversorgung liegt die Sterblichkeitsrate nach einem Herzinfarkt im Krankenhaus über dem OECD-Durchschnitt. Die Sterblichkeitsrate bei Schlaganfällen hingegen liegt unter dem Durchschnitt. Die Überlebenschancen bei Krebserkrankungen sind im Allgemeinen besser als in anderen OECD-Staaten. Die Anzahl der Krankenhausfälle für chronische Erkrankungen ist jedoch überdurchschnittlich hoch, was auf Verbesserungspotenzial in der Primärversorgung hinweist. Die Fragmentierung des Gesundheitssystems erschwert zudem die Kontinuität der Versorgung.

Fazit

Deutschland investiert viel in Gesundheit und bietet einen guten Zugang zum Gesundheitssystem mit umfangreichen Leistungen. Allerdings liegen die Indikatoren zur Versorgungsqualität oft im Mittelfeld der OECD-Staaten. Um diesen Herausforderungen erfolgreich zu begegnen, sollte Deutschland sich stärker auf “Value for Money” konzentrieren. Die Primärversorgung könnte gestärkt werden, um teure Krankenhausaufenthalte zu verhindern und die Qualität der Versorgung zu verbessern. Auch eine stärkere Zentralisierung und Spezialisierung von Krankenhäusern sowie intensivere Präventionsbemühungen könnten dazu beitragen. Deutschland hat das Potenzial, seine Position im internationalen Vergleich weiter zu verbessern.

Über den Autor:
Michael Müller ist Gesundheitsexperte bei der OECD in Paris und arbeitet unter anderem an der jährlich erscheinenden OECD-Studie “Gesundheit auf einen Blick”.