Wer zwischen 1972 und 1982 mit dem Auto von Hamburg und Umgebung nach West-Berlin reisen wollte, hatte keine andere Wahl: Die einzige Transitstrecke im Norden war die Fernverkehrsstraße 5, auch bekannt als F5. Dieser Weg erforderte von den Reisenden Geduld, denn die Fahrt führte über eine zweispurige Landstraße, vorbei an Dörfern und Wäldern, durch Redefin, Ludwigslust, Karstädt, Quitzow und Ribbeck bis zum Grenzübergang Berlin-Staaken, und schließlich in den Westen der geteilten Stadt Berlin. Im Gegensatz zu den anderen Transitstrecken, die allesamt Autobahnen waren, bot die F5 einen Einblick in das Leben der Menschen in der DDR und ermöglichte unerwünschte Kontakte. Das Transitabkommen führte zu einer erheblichen Zunahme des Verkehrsaufkommens sowohl auf der F5 als auch auf den anderen drei Transitstrecken zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin.
Reisen durch die DDR: Teure Visa und Durchsuchungen
Der Interzonenverkehr, also die Verbindung zwischen der BRD und den Berliner West-Sektoren, war lange Zeit mit vielen Unsicherheiten verbunden. Lange Wartezeiten an den Grenzübergängen, Straßenkontrollen, Strafen für Geschwindigkeitsüberschreitungen und spontane Durchsuchungen waren seit den 1950er-Jahren an der Tagesordnung. Der Bau der Berliner Mauer im Jahr 1961 verschärfte die Situation weiter und beschränkte die Bewegungsfreiheit zwischen Ost- und West-Berlin massiv. Ab Juni 1968 mussten Bundesbürger ein Visum beantragen und Gebühren von 5 DM pro Person zahlen. Zusätzlich wurden Straßennutzungsgebühren von 5 bis 15 DM erhoben, was eine wichtige Devisenquelle für die DDR war.
Brandts Politik der Annäherung
Unter der Ostpolitik von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) kam es Anfang der 1970er-Jahre zu einer allmählichen Annäherung zwischen der BRD und der DDR. Im Herbst 1971 unterzeichneten die ehemaligen Besatzungsmächte USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich das Viermächteabkommen, das den Status der geteilten Stadt Berlin regelte und den ungehinderten Transitverkehr von der Bundesrepublik nach West-Berlin ermöglichte. Auf dieser Grundlage konnten die BRD und die DDR ein innerdeutsches Transitabkommen mit konkreten Reiseregeln verhandeln. Die Verhandlungen basierten auch auf der Anerkennung der innerdeutschen Grenze durch die BRD und die UdSSR im Moskauer Vertrag von 1970.
Bahr und Kohl unterzeichnen Transitabkommen
Das Transitabkommen erleichterte die Reise nach West-Berlin sowohl für deutsche Staatsbürger als auch für Besucher aus dem Ausland. Auch ein Besuch in Ost-Berlin war für West-Berliner nun schneller und unkomplizierter möglich. Die Staatssekretäre Egon Bahr und Michael Kohl unterzeichneten den Vertrag am 17. Dezember 1971, der am 3. Juni 1972 in Kraft trat. Das Abkommen ermöglichte den ungehinderten Transport von Gütern auf der Schiene und auf Binnenfrachtschiffen in amtlich versiegelten Fahrzeugen oder Behältern. Allerdings galt das Transitabkommen nicht für den Verkehr durch die DDR in andere Länder wie Polen oder die Tschechoslowakei, sondern beschränkte sich ausschließlich auf die Bundesrepublik und die DDR. Es war das erste Regierungsabkommen zwischen den beiden deutschen Staaten und wurde noch vor dem Grundlagenvertrag geschlossen.
Westdeutsche Visa-Pauschale als Devisenquelle für die DDR
Das Transitabkommen brachte zahlreiche Erleichterungen für den Personenverkehr mit sich. Visa wurden direkt an den Grenzübergangsstellen der DDR am Fahrzeug oder im Zug ausgestellt. Fahrzeuge und Gepäck wurden nur bei begründetem Verdacht auf Schmuggel oder Devisenvergehen durchsucht. Die Gebühren mussten nun nicht mehr von den Reisenden selbst entrichtet werden. Stattdessen zahlte die Bundesrepublik eine jährliche Pauschale für Visa und Schienennutzung an die DDR. In den Jahren 1972 bis 1975 betrug diese Pauschale 234,9 Millionen DM pro Jahr, was für die DDR-Regierung eine fest einkalkulierte Devisenquelle darstellte.
Absolut unerwünscht: Begegnungen zwischen Ost und West
Die DDR sah in den Transitstrecken eine große Gefahr für unerwünschte Kontakte zwischen Bürgern der Bundesrepublik und denen der DDR. Daher waren die Regeln sehr streng. Die Strecken durften nur zum Durchfahren genutzt werden, Anhalten oder Verlassen der Transitstrecke ohne triftigen Grund wie Tanken war nicht erlaubt. Selbst geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitungen konnten zu hohen Geldstrafen führen. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) überwachte die Einhaltung der Regeln.
Auf einer Landstraße wie der F5 waren Regelverstöße jedoch viel schwieriger zu kontrollieren als auf Autobahnen. Der Verkehr führte durch einsame Wälder und kleine Dörfer, an Ampeln musste angehalten werden und landwirtschaftliche Fahrzeuge hatten Vorrang. An der Bahnschranke in Karstädt bei Ludwigslust zum Beispiel mussten die Autos regelmäßig bis zu 45 Minuten warten. Das Aussteigen entlang der F5 war genauso strengstens verboten wie an den Autobahnen.
Transit auf der F5 – Stasi-Spitzel im Gasthof Quitzow
Es gab jedoch zwei Ausnahmen: den Gasthof in Quitzow und den Intershop nebenan. Hier durften BRD-Bürger anhalten, im Restaurant essen oder im Geschäft Devisen ausgeben. Es wurde schnell klar, dass der Gasthof auch Gelegenheiten für geheime Treffen zwischen Ost und West bot. Aus diesem Grund waren Mitarbeiter der Staatssicherheit sowohl unter den Gästen als auch beim Personal tätig. Der Gasthof wurde zum Zentrum geheimdienstlicher Beobachtungen und geheimer Kommunikation. Die Stasi dokumentierte alles, wie sich die Gäste bei deftigen Braten oder Soljanka und einem Bier verhielten.
Die F5 als Fluchtroute
Die F5 bot den durchreisenden Bürgern der Bundesrepublik zehn Jahre lang tiefe Einblicke in das Leben in der DDR und ermöglichte es DDR-Bürgern, dem Regime zu entkommen. Zahlreiche Fluchtwillige versteckten sich an schlecht einsehbaren Stellen im Kofferraum und gelangten so in den Westen. Allerdings war nicht jede Flucht erfolgreich, und diejenigen, die erwischt wurden, mussten mit langen Haftstrafen rechnen.
1982: A24 ersetzt die F5
Zehn Jahre nach Inkrafttreten des Transitabkommens wurde die F5 mit der Autobahn A24 ersetzt. Erste Ideen für eine Autobahnverbindung zwischen Hamburg und Berlin gab es bereits in den 1960er-Jahren. In den folgenden Jahren wurde immer deutlicher, dass eine Autobahnverbindung vor allem für den Gütertransport von großem Vorteil wäre. Verhandlungen zwischen der BRD und der DDR über eine neue Autobahn begannen 1974.
Nach langjährigen Streitigkeiten über die genaue Streckenführung begannen im Jahr 1978 die Bauarbeiten. Am 20. November 1982 eröffneten Bundesverkehrsminister Werner Dollinger und der Verkehrsminister der DDR, Otto Arndt, die A24 für den Verkehr. Kurz darauf wurde die F5 für den Transitverkehr gesperrt. Sieben Jahre später fiel die Berliner Mauer, und Grenzkontrollen gehörten bald der Vergangenheit an. Historiker betrachten das Transitabkommen von 1972 rückblickend als einen Meilenstein auf dem Weg zur deutschen Wiedervereinigung.