Wenn unsere geliebten Vierbeiner plötzlich desorientiert in der Ecke stehen, ihre Besitzer nicht mehr begrüßen wollen oder die Stubenreinheit verlieren, könnte dahinter eine Hunde-Demenz stecken. Diese neurodegenerative Erkrankung des Gehirns wird medizinisch als Canines kognitives Dysfunktionssyndrom (CCD) bezeichnet. Leider werden Wesens- und Verhaltensänderungen bei Hunden häufig fälschlicherweise als normale Alterserscheinungen abgetan, so Tierärztin Dr. Nina Meyerhoff von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover.
Lebenserwartung steigt mit frühzeitiger Diagnose
Wenn Demenz bei Hunden frühzeitig erkannt wird, können einige Tiere genauso alt werden wie gesunde Artgenossen, sagt Meyerhoff. Wird die Diagnose jedoch erst im späten Stadium gestellt, liegt die Lebenserwartung in der Regel zwischen einigen Monaten und einem Jahr. Die ersten Anzeichen von Demenz treten in der Regel im Alter von etwa sieben oder acht Jahren auf, erklärt Tierarzt Dr. Thomas Laube aus Salzgitter.
Welche Symptome zeigen sich bei Hunde-Demenz?
Zu Beginn äußert sich die Krankheit durch leichte Symptome. Hunde stehen beispielsweise vereinzelt an der falschen Seite einer Tür, durch die sie hinauswollen. Im Endstadium sind manche Tiere jede Nacht wach und sitzen winselnd vor der Haustür. Weitere mögliche Symptome von Hunde-Demenz sind:
- Desorientierung: Hunde finden nicht mehr zur Tür hinaus oder bleiben hinter dem Sofa stehen.
- Verändertes Sozialverhalten: Sie begrüßen ihren Halter nicht mehr oder verweigern Streicheleinheiten.
- Veränderter Schlaf-Wach-Rhythmus: Die Tiere sind nachts wach und wollen ständig nach draußen.
- Verlust der Stubenreinheit: Hunde machen in die Wohnung.
- Ängstlichkeit: Sie zittern, jaulen oder winseln.
- Veränderte Aktivität: Sie sind bis zur Erschöpfung in Bewegung (Drangwandern).
- Vergessen: Hunde vergessen erlernte Kommandos und können diese nicht mehr ausführen.
Hundehalter spielen wichtige Rolle bei der Diagnose
Da die Symptome der Hunde-Demenz so vielfältig sind und denen eines normalen Alterungsprozesses ähneln, kommt Hundehaltern eine wichtige Rolle bei der Diagnose zu. Sie kennen ihre Vierbeiner am besten. Wenn ihnen ungewöhnliches Verhalten auffällt, kann es hilfreich sein, Videos mit dem Smartphone aufzunehmen und diese für den Tierarzt zu dokumentieren.
Behandlung nur mit Einschränkungen möglich
Wie beim Menschen ist Demenz auch bei Tieren nicht heilbar. Im Anfangsstadium kann versucht werden, das Fortschreiten der Krankheit zu bremsen. Durch Medikamente, die bestimmte Ablagerungen an den Gehirnzellen reduzieren oder verhindern, kann die Durchblutung und die Sauerstoffversorgung verbessert werden. Eine fortgeschrittene Hunde-Demenz ist dagegen schwer zu behandeln. Betroffene Hunde können oft nur noch mit Schlaf- und Beruhigungsmitteln ruhiggestellt werden.
Tierärztin Dr. Meyerhoff empfiehlt verschiedene Ansätze bei der Behandlung. Sinnvoll seien zum Beispiel körperliche Aktivität durch artgerechtes Hunde-Training und eine altersgerechte, spezifische Ernährung. Grundsätzlich sollten Hunde keine Essensreste bekommen. Ältere oder vorerkrankte Hunde könnten von Nahrungsergänzungsmitteln profitieren. Allerdings liegen keine Studien vor, die deren Wirkung belegen.
MCT-Öl und Omega-3-Fettsäuren bei Demenz?
Im Handel gibt es zahlreiche Produkte, die zur Entspannung oder Beruhigung des Hundes beitragen sollen. Für viele dieser Produkte liegen jedoch keine Langzeitstudien vor, die ihre Wirksamkeit belegen. Empfohlen wird zum Beispiel sogenanntes MCT-Öl, das mittelkettige Fettsäuren enthält und Demenz-Symptome bei Tieren lindern soll. Auch bestimmte Kombinationspräparate mit Antioxidantien und Vitaminen haben positive Effekte bei Hunden gezeigt. Die Zugabe von MCT-Öl sollte jedoch vorher mit dem Tierarzt abgesprochen werden.
Tierarzt Dr. Laube empfiehlt, das Futter mit Omega-3-Fettsäuren anzureichern. Dabei muss es kein teures Produkt aus der Futtermittelabteilung sein. Hochwertiges Sonnenblumenöl oder Olivenöl aus der Küche können ebenfalls verwendet werden. Die richtige Ernährung sollte jedoch mit dem Tierarzt abgestimmt werden.
Je älter ein Hund, desto höher das Demenz-Risiko
Warum manche Hunde an Demenz erkranken und andere nicht, ist nicht geklärt. Der größte Risikofaktor ist das Alter. Je älter ein Hund ist, desto wahrscheinlicher ist eine Demenz-Erkrankung. Da Hunde heutzutage meist mit uns Menschen im Haushalt leben und es ihnen an nichts mangelt, ist ihre Lebenserwartung gestiegen. Folglich treten auch Demenz-Erkrankungen häufiger auf. Laut einer Studie liegt die Demenzrate von Hunden ab einem Alter von zehn Jahren bei zwölf Prozent. Danach verdoppelt sich die Rate alle zwei Jahre.
Demenz verursacht keine Schmerzen
Halter von dementen Tieren machen sich oft Sorgen, dass ihre Hunde Schmerzen haben könnten. Laut Dr. Meyerhoff gibt es jedoch keinen Anlass zur Sorge: “Grundsätzlich ist die Canine kognitive Dysfunktion nicht schmerzhaft”. Im Alter treten jedoch häufig andere Erkrankungen auf, die Schmerzen verursachen können. Wenn Hunde dauerhaft ängstlich sind und zittern, können dies mögliche Anzeichen sein. In solchen Fällen sollte der Tierarzt aufgesucht werden.
Mit einem dementen Hund leben lernen
Die Demenz bei Hunden schreitet mit zunehmendem Alter voran. Deshalb sollten Hundebesitzer lernen, bestmöglich mit der Situation umzugehen. Wenn ein Hund aufgrund einer Demenz in der Wohnung uriniert, sollte er nicht bestraft werden, betont Dr. Meyerhoff. Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass das Tier nicht mehr “das alte” ist. Wenn Hunde inkontinent werden, können Hundewindeln eine sinnvolle Lösung sein. Hundehalter sollten auf veränderte Bedürfnisse ihres Tieres eingehen und zum Beispiel respektieren, wenn das Tier weniger kuscheln möchte oder ihm vermehrt Aufmerksamkeit schenken, wenn es mehr Zuneigung braucht. Bei eingeschränkter Mobilität kann ein Hundeanhänger fürs Fahrrad unter Umständen hilfreich sein. Bei nächtlicher Nervosität und Ängstlichkeit kann der Tierarzt gegebenenfalls Beruhigungsmittel verschreiben.
Einschläfern? Eine individuelle, schwierige Entscheidung
Wenn der Hund nachts umherwandert, in die Wohnung uriniert und ständig Aufmerksamkeit fordert, können Hundehalter trotz ihrer starken Zuneigung zum Tier an ihre Grenzen kommen. In solchen Fällen muss der Tierarzt abwägen, wie lange der Mensch eine solche Erkrankung des Vierbeiners durchstehen kann, sagt Dr. Laube. “Man kann nicht riskieren, dass der Mensch zum Patienten wird”. Hundebesitzer fragen sich oft, ob sich das Tier quält, ob sein Leben noch lebenswert ist und ob es besser wäre, es einzuschläfern.
Diese schwierige Entscheidung sollte in Absprache mit einem Tierarzt getroffen werden. Der Zeitpunkt hängt vom Stadium der Demenz, dem Fortschreiten anderer Erkrankungen und dem Zustand von Mensch und Tier ab. “Tierbesitzer kennen ihre Tiere am besten und wissen, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist”, so Dr. Laube. Wenn ein alter, vergleichsweise gesunder Hund den ganzen Tag schläft und sich kaum noch bewegen möchte, ist das kein Grund zur Besorgnis. “Ältere Tiere haben einfach andere Ansprüche an das Leben und können dennoch sehr glücklich sein.”