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I. Prüfungsschema
Ob ein Gläubigerverzug vorliegt wird nach folgendem Schema geprüft:
II. Voraussetzungen
Grundsätzlich kommt der Gläubiger nicht in Verzug, wenn der Schuldner zum Leistungszeitpunkt nicht leisten kann, § 297 BGB. Durch diese Regelung soll der Gläubiger davor geschützt werden, dass der Schuldner die Gefahr auf ihn abwälzen kann.
Wann der Gläubiger in Verzug gerät, ergibt sich aus § 293 BGB:
Der Gläubiger kommt in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt.
Die Annahme der Leistung im Angebotszeitpunkt ist für den Schuldner allerdings keine Verpflichtung. Eine Nichtannahme stellt auch kein Verschulden dar. Vielmehr handelt es sich um eine Obliegenheit.
Das Angebot i.S.v. § 293 BGB ist nicht identisch mit dem Antrag zum Vertragsschluss. Es handelt sich um tatsächliches Anbieten.
III. Angebot
1. Tatsächliches Angebot, § 294 BGB
Bei dem Angebot i.S.v. § 293 BGB muss es sich gem. § 294 BGB grundsätzlich um ein tatsächliches Angebot handeln:
Die Leistung muss dem Gläubiger so, wie sie zu bewirken ist, tatsächlich angeboten werden.
Der klassische Merksatz für das tatsächliche Angebot ist, dass die Leistung so anzubieten ist, dass der Gläubiger nur noch zuzugreifen braucht.
Das Angebot muss zudem korrekt sein. Das bedeutet, das Angebot muss am richtigen Ort (Leistungsort), zur rechten Zeit (grds. § 271 BGB) und wie geschuldet angeboten werden. Eine mangelhafte Leistung oder eine Leistung vor Fälligkeit sind damit ausgeschlossen.
2. Wörtliches Angebot, § 295 BGB
Grundsätzlich hat der Schuldner die Leistung tatsächlich anzubieten. Ausnahmsweise kann jedoch nach § 295 BGB ein wörtliches Angebot genügen.
Ein wörtliches Angebot genügt, wenn der Gläubiger die Annahme verweigert. Hierunter fällt auch die Annahme unter Bedingungen.
Auch genügt ein wörtliches Angebot, wenn für die Leistungserfüllung ein Mitwirken des Gläubigers nötig ist und der Schuldner diesen auffordert, die notwendige Handlung vorzunehmen (Holschuld).
3. Entbehrlichkeit des Angebotes
Ein Angebot ist in den Fällen des § 296 S. 1 BGB überhaupt nicht vonnöten. Dies ist der Fall, wenn der Gläubiger bis zu einem festgelegten Zeitpunkt eine entsprechende Leistung zu vollbringen hatte, dies aber nicht getan hat. Nach § 296 S. 2 BGB gilt dies auch, falls ein Termin nach dem Kalender berechenbar war.
Rechtsprechung und Lehre stellen noch einen letzten Fall dar, in dem der Gläubiger in Annahmeverzug gerät, auch wenn dies nicht gesetzlich geregelt ist. Dies soll der Fall sein, wenn der Gläubiger die Annahme ernsthaft und endgültig verweigert.
IV. Nichtannahme
Weiterhin dürfte der Gläubiger die Leistung nicht angenommen haben. Aus welchem Grund der Gläubiger nicht annimmt, ist für das Bestehen eines Gläubigerverzuges irrelevant. Selbst höchstpersönliche gewichtige Gründe haben keinen Einfluss auf den Gläubigerverzug. Gerade hierin unterscheidet er sich vom Schuldnerverzug nach § 286 BGB.
Der Schuldnerverzug tritt gem. § 298 BGB auch bei Zug-um-Zug Leistungen ein, wenn der Gläubiger zwar die Leistung des Schuldners annehmen will, aber nicht bereit ist, seine Gegenleistung zu erbringen.
Eine Ausnahme von den strengen Vorschriften der §§ 293, 298 BGB macht § 299 BGB. Danach kommt der Gläubiger nicht in Verzug, wenn der Schuldner während einer erlaubten, aber überraschenden Zeit leisten möchte. In dieser überraschenden Situation ist der Gläubiger nicht annahmebereit. Dies ist häufig der Fall, wenn ein ungenauer Termin bestimmt ist (etwa „Anfang nächster Woche“) und der Gläubiger dann kurz einkaufen ist, wenn der Schuldner leisten möchte.
V. Rechtsfolgen
Die Rechtsfolgen des Gläubigerverzuges sind vielfältig und unterscheiden sich von denen des Schuldnerverzuges. Sie ergeben sich hauptsächlich aus § 300 BGB. Dessen Abs. 1 lautet:
Der Schuldner hat während des Verzugs des Gläubigers nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten.
Dem Schuldner wird im Gläubigerverzug also eine Haftungserleichterung gewährt. Er haftet während des Gläubigerverzuges nicht mehr für Fahrlässigkeit.
§ 300 Abs. 2 BGB lautet:
Wird eine nur der Gattung nach bestimmte Sache geschuldet, so geht die Gefahr mit dem Zeitpunkt auf den Gläubiger über, in welchem er dadurch in Verzug kommt, dass er die angebotene Sache nicht annimmt.
§ 300 Abs. 2 BGB gilt nur für Gattungsschulden. Sofern keine Konkretisierung nach § 243 Abs. 2 BGB stattgefunden hat, geht somit die Gefahr schon auf den Gläubiger über, wenn er die Leistung nicht annimmt. Da fast immer eine Konkretisierung vor dem Angebot des Schuldners stattfindet, hat diese Vorschrift praktisch jedoch keinerlei Bedeutung.
Aus § 304 BGB ergibt sich für den Schuldner das Recht auf Erstattung von Mehraufwendungen, welche aufgrund des Gläubigerverzuges entstanden sind. Hierunter fallen vor allem Transport- und Lagerkosten.
Besondere Bedeutung hat § 326 Abs. 2 S. 2 BGB. Danach behält der Schuldner im Falle der Unmöglichkeit den Anspruch auf die Gegenleistung, wenn der Gläubiger im Annahmeverzug war. Diese Regelung ist bei den Unmöglichkeitsfällen stets zu beachten.
Für das Kaufrecht stellt § 446 S. 3 BGB zudem klar, dass die Gefahr des zufälligen Untergangs oder Verschlechterung auf den Käufer übergeht, wenn sich dieser im Annahmeverzug befindet.
Aus den §§ 301 ff. BGB ergeben sich weitere Folgen des Gläubigerverzuges.
VI. Ende des Verzugs
Der Gläubigerverzug endet entweder mit der Annahme der Leistung durch den Gläubiger oder durch Eintreten der Unmöglichkeit.
VII. Sonderfall § 615 BGB
Für den Dienstvertrag gelten hinsichtlich des Gläubigerverzuges die besonderen Regelungen des § 615 BGB. Diese vor allem im Arbeitsrecht bedeutsame Regelung darf in der Klausur nicht übersehen werden.