Manchmal sind Genies nicht das, was wir uns vorstellen. Wir verehren sie, bewundern sie für ihre Unnahbarkeit und ihre Faszination. Doch wenn wir ihnen gegenüberstehen, stellen wir oft fest, dass sie gar nicht so außergewöhnlich sind. Vielleicht sind sie nicht einmal besonders sympathisch oder intelligent.
Der Satz “Der Urheber ist selten der beste Interpret seiner Werke” ist wahr. Das zeigt sich deutlich, wenn man Künstler wie David Lynch oder Brian Wilson bei einem Interview erlebt. Man fragt sich kopfschüttelnd, wie diese einflussreichen Künstler des 20. Jahrhunderts in der Lage waren, ihre Meisterwerke zu erschaffen.
Bei solchen Ansprüchen stellt man Genies unrecht. Hochbegabte Künstler schöpfen unbewusst und aus sich selbst heraus, wenn man den Begriff aus der romantischen Ästhetik ernst nimmt.
Comics, Zeichnungen und Gekritzel
Umso skeptischer schaut man jetzt auf Art Spiegelmans “MetaMaus”. Das Buch erscheint parallel zur Ausstellung “CO-MIX. Art Spiegelman” im Kölner Museum Ludwig. Dort werden sämtliche Originalzeichnungen der “Maus”-Bände ausgestellt, aber auch erste Arbeiten für die Kaugummi-Industrie und berüchtigte Titelblätter für den “New Yorker”.
Der Titel “MetaMaus” klingt schick postmodern. Man erwartet einen Comic über den Comic “Maus”. Doch das Buch ist viel mehr als das. Es ist ein über 200-seitiges Gespräch zwischen Spiegelman und der Literaturwissenschaftlerin Hillary Chute. Das Buch ist versehen mit vielen Bildbeispielen und einer DVD, die alles enthält, was für “Maus” relevant ist, von Skizzenbüchern bis hin zu Ton-Files der Unterhaltungen mit seinem Vater.
Multimediale Büchse der Pandora
Die Frage ist: Wer außer Hardcore-Spiegelman-Fans soll sich denn für so etwas interessieren? Schließlich ist Spiegelman einer der meistinterviewten Comic-Künstler der Gegenwart.
Um das zu verstehen, muss man sich Spiegelmans Rang vor Augen führen. Er hat nicht nur für die Kunst der “Neunten Kunst”, sondern auch für die gesamte Kunst der letzten Jahrzehnte Bedeutung. Mit seinem Magazin “RAW” setzte er in den 1980er Jahren Maßstäbe für formale und inhaltliche Experimentierfreude. Sein Name wird jedoch immer mit “Maus” verbunden bleiben.
“Maus” ist ein singuläres Werk. Die beiden Comicbände haben Grenzen überschritten und den Grundstein für den Boom der “Graphic Novel” gelegt. Sie haben das Darstellungsverbot des Holocausts durchbrochen und eine neue Art des Erzählens hervorgebracht.
Ein Katzentotenkopf mit Hitler-Bart
Die Irritation beginnt bereits mit dem niedlichen Titel des Buches. Wie passt das zusammen mit dem Inhalt, der eine autobiografische Geschichte über Spiegelmans Eltern erzählt? Die Bilder der beiden Mäuse vor dem Hakenkreuz mit dem Katzentotenkopf und dem Hitler-Bart sind obszön und verboten. Doch sie sind gleichzeitig genial und provokativ.
Spiegelman hat alles bis ins kleinste Detail durchdacht und recherchiert. Nichts wurde dem Zufall überlassen. Alles, vom Aufbau des Einzelbildes bis zur Gesamtkomposition der Seite, ist das Ergebnis jahrelanger Überlegungen. Spiegelman hat sogar die Terminologie der Nazis bewusst aufgegriffen, um rassistische Klischees zu reproduzieren und gleichzeitig zu entlarven.
Ein unverzichtbares Werk
“MetaMaus” bietet auf nahezu jede Frage, die sich während der Lektüre von “Maus” ergeben hat, eine Antwort. Das Buch zeichnet ein anschauliches Bild des Künstlers und des Menschen hinter “Maus”. Es enthält zahlreiche scharfsinnige Analysen, überraschende Querbezüge und sarkastische Anekdoten.
Es ist eine unverzichtbare Schatztruhe für jeden Spiegelman-Leser, der sich über die Entstehung und Rezeption eines der wichtigsten Werke unserer Gegenwart informieren möchte. Obwohl das Buch auch seine Schwächen hat und sich manchmal zu systematisch und brav anfühlt, ist es ein Meisterwerk der Kunst- und Literaturwissenschaft. Es zeigt das Genie von Art Spiegelman und lässt uns in seinen Kosmos eintauchen.