Der Sohn, der ganz der Papa ist

Der Sohn, der ganz der Papa ist

Ein Kind zu bekommen bedeutet, dass es das Erbgut beider Eltern in sich trägt. Doch nicht immer sieht man auf den ersten Blick, woher diese genetische Mischung stammt. Manche Kinder ähneln keinem Verwandten, während andere ganz klar “ganz die Mama oder ganz der Papa” sind. Dies ist jedoch kein Wunder, da bestimmte Erbanlagen dominant sein können und dadurch andere überdecken. Wenn zum Beispiel das Kind die Erbinformation für braune Augen von der Mutter und für blaue Augen vom Vater erhält, wird es höchstwahrscheinlich die Augenfarbe des Vaters haben.

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Töchter im Laufe ihrer Entwicklung immer mehr ihrer Mutter ähneln und Söhne immer mehr ihrem Vater. Dieses Phänomen lässt sich durch Sexualhormone erklären. Bei der Geburt und sogar ein Jahr später sind jedoch noch nicht viele optische Gemeinsamkeiten zu erkennen. Das niedliche “Kindchen-Schema” mit dem fliehenden Kinn, der kleinen Stupsnase und den großen Kulleraugen lässt die Ähnlichkeiten zu den Eltern noch im Hintergrund stehen. Doch junge Mütter sehen das anscheinend anders, wie eine Studie an der französischen Universität Montpellier herausgefunden hat.

Das Forscherteam unter der Leitung der Evolutionsbiologin Alexandra Alvergne hat 69 Familien mit insgesamt 83 Kleinkindern und Babys fotografiert. Die Bilder wurden dann nicht nur den betreffenden Eltern, sondern auch 209 unabhängigen Gutachtern vorgelegt, um die Ähnlichkeiten zu beurteilen. Das Ergebnis war überraschend: Alle befragten Mütter behaupteten, dass ihr neugeborener Sohn dem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten sei. Die Väter selbst waren sich da nicht immer so sicher, und die unabhängigen Gutachter konnten sogar nur bei einem Drittel der männlichen Babys eine Ähnlichkeit mit dem Erzeuger feststellen. Offenbar lagen die Mütter also mit ihrer Einschätzung weit daneben. Die Frage bleibt jedoch, warum sie dennoch daran festhielten.

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Alvergne vermutet, dass Frauen ihre “Ganz der Papa”-Strategie schon früh in der menschlichen Evolution entwickelt haben, um sich die familiären Investitionen des Mannes zu sichern. Denn sobald Zweifel an seiner Vaterschaft aufkommen, lässt der Vater in seiner Fürsorge, vor allem für männliche Nachkommen, deutlich nach. Dann sieht er keine Chance mehr, seine Gene weiterzugeben. In einigen Fällen lässt sich ein Mann sogar zu extremen Taten hinreißen: Kriminalisten berichten, dass die mangelnde Ähnlichkeit immer noch ein Hauptmotiv für Männer ist, ihre Kinder zu misshandeln oder sogar zu töten.

Die “Vaterschaftssorgen” der Männer sind nicht unbegründet. Schätzungen zufolge ist etwa jedes zehnte Kind ein “Kuckucksei”, in sozial schwachen Gebieten sogar fast jedes dritte. Alvergne weist auch darauf hin, dass nicht nur treue, sondern auch untreue Frauen eine gewisse Versorgungssicherheit schaffen könnten, indem sie dem Mann vortäuschen, dass er Ähnlichkeiten mit dem Kind hat. Es sollte jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass dies ein bewusster Täuschungsversuch ist, da evolutionär alte Verhaltensweisen oft unbewusst ablaufen.

Für den unbewussten Ablauf spricht auch, dass der weibliche Körper während der Geburt und Stillzeit große Mengen an Oxytocin ausschüttet. Dieses Hormon wird auch beim weiblichen Orgasmus freigesetzt und von Psychologen gerne als “Knuddel-Hormon” bezeichnet. Bei Frauen löst es ein tiefes Gefühl von Verbundenheit und Nähe aus. Mit anderen Worten: Nach der Geburt befindet sich die Mutter in einem hormonellen Ausnahmezustand, der nach einer harmonischen Familie verlangt und ihre Sinne vernebelt. Es ist daher nicht überraschend, dass sie zwei Jahre später kaum noch optische Gemeinsamkeiten zwischen Vater und Kind sieht, da sich ihr Oxytocinpegel in diesem Zeitraum wieder normalisiert.

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Es sollte jedoch beachtet werden, dass diese Oxytocin-Begründung nicht zutrifft, wenn die Frau per Kaiserschnitt entbindet und auf das Stillen verzichtet. In diesen Fällen bleibt der hormonelle “Knuddel”-Ausnahmezustand vorerst aus.