Der übergesetzliche entschuldigende Notstand

Der übergesetzliche entschuldigende Notstand

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Der übergesetzliche entschuldigende Notstand ist ein Entschuldigungsgrund für wenige, sehr spezielle Ausnahmefälle. In solchen Situationen soll der Täter nicht bestraft werden, obwohl ein rechtfertigender Notstand nach § 34 StGB ausgeschlossen und § 35 StGB nicht anwendbar ist.

I. Hintergrund

Der übergesetzliche entschuldigende Notstand erfasst Konstellationen, in denen der Täter durch sein Handeln vorsätzlich und rechtswidrig Leben nimmt, um eine weitaus höhere Zahl von Leben zu retten. Dabei handelt es sich um Extremsituationen, wie die Rettung einer Vielzahl von Menschen auf Kosten eines Einzelnen oder einer kleinen Gruppe.

Da es sich um einen absoluten Ausnahmefall handelt, ist sein Anwendungsgebiet sehr eng. Zunächst müssen alle anderen Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe ausgeschlossen werden!

II. Systematik der Notstände

Um den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand besser zu verstehen, sollte man sich die Systematik und Probleme der Notstände vergegenwärtigen.

1. Der rechtfertigende Notstand, § 34 StGB

Der Notstand gem. § 34 StGB lässt als Rechtfertigungsgrund die Rechtswidrigkeit entfallen. Notstandsfähig sind sämtliche Individualrechtsgüter. Jedoch scheitert der Notstand nach herrschender Ansicht bei der Rechtfertigung von Tötungen, da das oberste Rechtsgut Leben nicht gegen anderes Leben abwägbar ist.

2. Der entschuldigende Notstand, § 35 StGB

Der entschuldigende Notstand gem. § 35 StGB lässt als Entschuldigungsgrund die Schuld entfallen. Im Vergleich zu § 34 StGB sind die Anforderungen an die Notstandslage höher: Notstandsfähige Rechtsgüter sind Leib, Leben, Freiheit und der Personenkreis beschränkt sich auf den Täter selbst oder nahestehende Personen. Es darf also Leben gegen Leben gestellt werden. Jedoch bleibt die Tat vorsätzlich und rechtswidrig.

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3. Der übergesetzliche entschuldigende Notstand

Der übergesetzliche entschuldigende Notstand lässt als ungeschriebener Entschuldigungsgrund ebenfalls die Schuld entfallen. Er kann nur eingreifen, wenn § 34 StGB wegen der Güterabwägung nicht vorliegt und § 35 StGB nicht eingreift. Hier ist Leben das einzige geschützte Rechtsgut und die konkrete Tat muss in der speziellen Situation das einzige mögliche Mittel sein, die Rechtsgutverletzung zu verhindern. Der übergesetzliche Notstand ist immer ultima ratio!

III. Fallgruppen

1. Gefahrengemeinschaft

Beispiel 1: Euthanasie-Ärzte im Dritten Reich haben 10 Geisteskranke in die Gaskammer geschickt, um 90 Geisteskranke zu retten.

Beispiel 2: Terroristen haben ein Passagierflugzeug mit 300 Passagieren entführt. Pilot P der Bundeswehr schießt das Flugzeug ab. Alle Flugzeuginsassen sterben.

In der Gefahrengemeinschaft befinden sich die Personen in einer gemeinsamen Gefahr und ein Teil der in Gefahr schwebenden Personen wird geopfert, um den anderen Teil zu retten.

2. Kleineres Übel

Beispiel: Ein Güterzug droht auf einen voll besetzten Personenzug aufzufahren. Weichensteller W stellt eine Weiche um, so dass der Güterzug zwei zuvor ungefährdete Streckenarbeiter tötet, aber etliche Insassen des Personenzuges rettet.

Im Gegensatz zur Gefahrengemeinschaft werden hier Unbeteiligte aufgeopfert, die ohne das Handeln des Täters niemals mit der Gefahr in Berührung gekommen wären. Hier ist umstritten, ob der übergesetzliche entschuldigende Notstand zugelassen werden kann.

IV. Vorgehen in der Prüfung

In der Klausur ist der Ablauf in der Regel wie folgt:

  1. Objektiver und Subjektiver Tatbestand sind unproblematisch gegeben.
  2. Innerhalb der Rechtswidrigkeit werden mögliche Rechtfertigungsgründe angesprochen und abgelehnt.
  3. Im Rahmen der Schuld wird der entschuldigende Notstand geprüft und abgelehnt, da die geretteten Personen nicht zu dem in § 35 StGB genannten Personenkreis gehören.
  4. Erst jetzt wird der übergesetzliche entschuldigende Notstand geprüft.
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Es gibt kein einheitliches Prüfungsschema, jedoch orientiert man sich am Aufbau der Notstandsparagraphen § 34 StGB und § 35 StGB. Dabei wird die Notstandslage, die Notstandshandlung, die Zumutbarkeit und das subjektive Element geprüft.