Der Anbau von Winter- und Sommerweizen mag für Nicht-Landwirte zunächst identisch aussehen, aber es gibt tatsächlich Unterschiede zwischen den beiden Sorten. Begeben wir uns im März oder Anfang April auf einen Spaziergang durch die Felder, werden wir schnell feststellen, dass Winter- und Sommerweizen leicht zu unterscheiden sind. Während die Winterweizensorten, die im Herbst ausgesät wurden, bereits einen dichten grünen Teppich bilden, lugen bei den gerade erst gesäten Sommerweizensorten gerade erst die ersten Blätter aus der Erde.
Die Gründe für die unterschiedlichen Aussaatzeiten im Herbst und im Frühjahr finden sich in den genetischen Eigenschaften der verschiedenen Sorten. Winterweizensorten benötigen Kälte zwischen dem Keimblatt- und dem Dreiblattstadium. Etwa 40 bis 50 Tage lang benötigen sie Temperaturen zwischen 0 und 8 Grad Celsius, damit die Stoffe, die das Wachstum hemmen, abgebaut werden. Dieser Prozess wird als “Vernalisation” bezeichnet. Durch diese Eigenschaft wird verhindert, dass der im Herbst gesäte Winterweizen sich bereits im Herbst zu stark entwickelt. Stattdessen beginnt die Pflanze unter den langen Tagen im April mit der generativen Phase. Es bildet sich dann der Halm, Ähren, Blüten und schließlich die Körner. Vereinfacht gesagt benötigt Winterweizen Winterkälte, um eine hohe Ernte zu erzielen.
Sommerweizensorten hingegen benötigen diese Kälteperiode nicht. Sobald der Boden im frühen Frühjahr ausreichend abgetrocknet und befahrbar ist, wird der Sommerweizen ausgesät. Je früher, desto besser – so kann die Vegetationsperiode von Anfang an optimal genutzt werden. Das Getreide bildet dann ein leistungsfähigeres Wurzelnetz, kann das Bodenwasser in Trockenzeiten im Frühsommer besser nutzen und erzielt höhere Erträge im Vergleich zur Aussaat im April.
Auch bei Gerste und Hafer gibt es Winter- und Sommersorten. Im Allgemeinen bevorzugen Landwirte Winterweizensorten. Sommerweizen bringt nämlich selbst unter guten Wachstumsbedingungen etwa 20 Prozent weniger Ertrag. Daher wird in Deutschland derzeit auf 2,84 Millionen Hektar Winterweizen, aber nur auf 27.500 Hektar Sommerweizen (Quelle: destatis) angebaut.
Aber wann lohnt sich der Anbau von Sommerweizen überhaupt? Landwirte in Deutschland bevorzugen ihn, wenn die Vorkultur, wie zum Beispiel Zuckerrüben, im Herbst zu spät oder bei zu nassen Böden geerntet wurde und es nicht mehr möglich ist, Winterweizen anzubauen. Sommerweizen bringt im Vergleich zu Sommergerste oder Sommerhafer höhere Erträge. Er ist auch eine Alternative auf Standorten, an denen mit einem starken Aufkommen von Ungras, wie dem Ackerfuchsschwanz, zu rechnen ist. Sommerweizen keimt bereits bei niedrigeren Temperaturen als der gefürchtete Konkurrent um Wasser, Licht und Nährstoffe. Durch den Vorsprung in der Entwicklung hält er das Unkraut in Schach.
Da Winterweizen im September oder Oktober häufig noch in warmen Boden gesät wird, hat er oft keine Chance gegen den schnell keimenden Ackerfuchsschwanz. Das Unkraut ist in vielen Fällen bereits gegen die wenigen zugelassenen Pflanzenschutzmittel resistent. Sommerweizen wird daher gerne in den Lücken nachgesät, in denen Winterweizen im kalten Winter erfroren ist. Auf diese Weise kann das Feld weiterhin einheitlich gedüngt, vor Schädlingen geschützt und geerntet werden. Der Sommerweizen wertet qualitativ den Winterweizen auf, da er bessere Backeigenschaften aufweist.
In Ländern mit kälteren Wintern stoßen die ertragreicheren Winterweizensorten schnell an ihre biologischen Grenzen. In Russland beispielsweise wurden 2020 16,5 Millionen Hektar Winterweizen und 12,2 Millionen Hektar Sommerweizen geerntet (Quelle: agrardialog.ru). Kanada hingegen hat ein Verhältnis von 1,06 Millionen Hektar Winterweizen zu 7,38 Millionen Hektar Sommerweizen (Quelle: Proplanta).
Es gibt also deutliche Unterschiede zwischen Winter- und Sommerweizen. Diese Wissensgrundlage ist für Landwirte von entscheidender Bedeutung, um die optimale Sorte für ihre Bedürfnisse zu wählen und den bestmöglichen Ertrag zu erzielen.