Kriminalstrafen sind staatliche Maßnahmen, um auf kriminelle Handlungen zu reagieren. Schon das Strafverfahren selbst beeinträchtigt die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte der Beschuldigten. Sogar bei einem Freispruch wird in das Persönlichkeitsrecht eingegriffen. Eine Anklage kann zur Bloßstellung in der Öffentlichkeit führen und den wirtschaftlichen Ruin oder den Verlust von Ämtern zur Folge haben. Strafen sind kein Wohltat, auch wenn sie gut gemeint sind.
Um solche staatlich angeordnete Strafen zu rechtfertigen, braucht es sowohl formale als auch inhaltliche Legitimationen, die sich aus Ethik und Vernunft ableiten. Diese wurden in Form von Straftheorien entwickelt.
Strafbedürfnisse
In vielen Bereichen der Gesellschaft gibt es das Bedürfnis nach Bestrafung. Verstöße gegen Regeln im Sport werden ebenfalls sanktioniert. Das Gemeinschaftsbewusstsein fordert Reaktionen, wenn anerkannte Normen verletzt werden. Diese Reaktionen können Strafen sein, aber auch andere Maßnahmen zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens. Besonders nach schweren Verbrechen äußern sich laute Strafbedürfnisse. Die tieferen Beweggründe für diese Bedürfnisse können vielfältig sein und individuell unterschiedlich. Strafen dienen der Wiederherstellung des Rechtsfriedens und dem Stärken des Rechtsbewusstseins. Sie erfüllen auch das Bedürfnis nach Genugtuung beim Opfer von Straftaten.
Absolute Straftheorie
Die absolute Straftheorie lehnt es ab, Strafen mit bestimmten Zwecken zu verbinden. Strafen sollen zweckfrei sein und allein aufgrund der begangenen Tat verhängt werden. Laut Immanuel Kant ist Strafe nur gerechtfertigt, weil jemand eine Straftat begangen hat. Strafen werden also aus reinem Strafen heraus verhängt und dienen nicht einem staatlichen oder individuellen Nutzen. Strafe dient der Verwirklichung des Ideals von Gerechtigkeit und ist die Vergeltung von Übel mit Übel.
Relative Straftheorien
Im Gegensatz zur absoluten Straftheorie verfolgen relative Straftheorien das Ziel, zukünftige Straftaten zu verhindern. Diese Theorien bestrafen nicht nur, weil ein Verbrechen begangen wurde, sondern verfolgen verschiedene Zwecke. Dazu gehören die Abschreckung anderer potenzieller Täter, das Aufrichten des beeinträchtigten Rechtsbewusstseins der Gesellschaft, das Abschrecken des einzelnen Täters vor einer Wiederholung und die positive Beeinflussung des Täters zur Resozialisierung. Die Zwecktheorien sind eng mit den Namen von Paul Johann Anselm von Feuerbach und Franz von Liszt verbunden. Feuerbach betonte den generalpräventiven Aspekt von Strafen, während Liszt sich für ein individualpräventiv ausgerichtetes Strafrecht einsetzte.
Vereinigungstheorie
Heutzutage wird allgemein anerkannt, dass Strafen keinen Selbstzweck haben dürfen. Strafen müssen zukunftsorientiert sein und sozial schädliches Verhalten abwehren. Die Legitimation von Strafen beruht auf dem Notwehrrecht des Staates zur Abwehr solcher Verhaltensweisen. Wie Strafen im Einzelnen ausgelegt werden, ist umstritten. Die Tat bleibt der Ausgangspunkt, und die Strafe darf nur angemessen sein, d.h. sie muss der Schuld entsprechen. Die Mehrheit der Justiz folgt der Vereinigungstheorie, welche versucht, verschiedene Strafzwecke ausgewogen miteinander zu verbinden. Das Bundesverfassungsgericht betont dabei nicht nur den Schuldgrundsatz, sondern erkennt auch die anderen Strafzwecke an. Strafe soll die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens schützen. Dabei ist die Schuld des Täters die Grundlage für die Strafzumessung, aber auch die Auswirkungen der Strafe auf das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft müssen berücksichtigt werden.
Täter-Opfer-Ausgleich
Seit den 1980er-Jahren ist der Täter-Opfer-Ausgleich als neuer Aspekt des Strafens hinzugekommen. Bisherige Straftheorien haben das Opfer weitgehend ausgeklammert. Das primäre Anliegen des Opfers, Wiedergutmachung zu erhalten, wurde bei der Konzentration auf Gerechtigkeit und Bestrafung des Täters vernachlässigt. Opfer von Straftaten wollen in der Regel Schadenswiedergutmachung oder dass das Geschehene sich nicht wiederholt. Diese Sanktionsform findet eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung. Der Täter-Opfer-Ausgleich ermöglicht die Resozialisierung des Täters und befriedigt das Bedürfnis nach Gerechtigkeit. In einigen Fällen kann von einer Strafe abgesehen oder die Strafe gemildert werden. Aber bei schwerwiegenden Straftaten oder wenn der Täter nicht zu einem Ausgleich bereit ist, muss die Schutzfunktion der Strafe greifen.
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