Deutschlands problematische Vergangenheit: Eine literarische Auseinandersetzung

Deutschlands problematische Vergangenheit: Eine literarische Auseinandersetzung

Wie gehen Menschen mit der Vergangenheit eines Landes um, das nicht ihre Heimat ist, in das sie eingewandert sind? Wie gehen sie insbesondere mit einer problematischen Vergangenheit um, wenn die Geschichte ihres Herkunftslandes und des Referenzlandes so eng miteinander verwoben sind, wie dies bei Polen und Deutschland der Fall ist? Welche Wege der literarischen Auseinandersetzung mit Themenkomplexen um Schuld, Vergangenheitsbewältigung, Opfer- und Täterrollen und damit zusammenhängenden Identitätsbestimmungen und -zuschreibungen finden Autoren, die als Vertreter der sogenannten interkulturellen Literatur gelten? Wie sehen sie als Polen den Umgang mit der Vergangenheit in dem Täterland und wie beurteilen sie aus der Perspektive der Diaspora den Diskurs im eigenen Land?

Parallelen zwischen den Protagonisten

Zwischen den Protagonisten der untersuchten Romane gibt es auffällige Parallelen. Ihre Ehen sind gescheitert, sie sind arbeitslos oder haben niedrigqualifizierte Jobs. Doch dann bricht das Thema jüdische Identität in ihr Leben ein. In “Die Freiheit riecht nach Vanille” erfährt Naletnik, dass sein Vater ein Jude ist, der aus Rache für den Mord an seiner Mutter seine Großmutter vergewaltigt hat. In “Zeit der Stinte” gerät die Welt von Chrystian Brodd durcheinander, als er sich in Mona, eine “schöne Jüdin”, verliebt und den Ort seiner Kindheit in Polen besuchen will, der in Verbindung mit der Geschichte seines Großvaters steht.

Gegenwart und Vergangenheit verknüpft

In beiden Romanen werden Gegenwart und Vergangenheit durch die Geschichten der Eltern und Großeltern der Protagonisten miteinander verknüpft. Die Vergangenheit dient als Kontrastfolie zur Gegenwart und ermöglicht eine tiefere Auseinandersetzung mit den Charakteren.

LESEN  Geodreieck: Ein praktisches mathematisches Rechengerät

Kritik an der Vergangenheitsbewältigung

Beide Romane kritisieren den deutschen Umgang mit der Vergangenheit, insbesondere in Bezug auf Juden und Ausländer. Die Polizei behandelt Naletnik anders, als sie erfährt, dass er Jude ist. Die Einbürgerung in Deutschland wird als Assimilation verstanden, die die Aufgabe der eigenen Identität mit sich bringt. Die deutsche Form der Vergangenheitsbewältigung wird als unzureichend betrachtet und der Mangel an Anerkennung des Fremden wird kritisiert.

Kritik an der polnischen Vergangenheitsbewältigung

Auch die polnische Vergangenheitsbewältigung wird kritisiert. Die polnischen Figuren zeigen wenig Interesse an der Vergangenheit und verdrängen sie lieber. Der ehemalige deutsche Friedhof wird als Müllhalde verwendet und das Grab des Nazis Schmidtke wird sich selbst überlassen. Die Realität wird durch Märchen und Mythen überlagert.

Solidarität mit den Opfern und Distanzierung von den Tätern

Die Protagonisten zeigen Solidarität mit den Opfern und distanzieren sich von den Tätern. Sie lehnen das nationale Selbstbild ab und setzen sich kritisch mit ihrer eigenen Identität auseinander. Die hybride Identität wird als Möglichkeit betrachtet, um die eigene Vergangenheit zu akzeptieren.

Reise zwischen den Polen

Die Reise zwischen den Polen, zwischen Ost und West, symbolisiert die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Die interkulturelle Literatur aus Polen nutzt dabei das historisch belastete Verhältnis zwischen Deutschen, Polen und Juden, um Missverständnisse, Vorurteile und Wissenslücken zu beleuchten.

Insgesamt bieten die untersuchten Romane eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheitsbewältigung in Deutschland und Polen sowie mit Mechanismen der Identitätsbildung. Sie stellen Solidarität mit den Opfern und Distanzierung von den Tätern als alternative Wege der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit vor. Die interkulturelle Literatur aus Polen zeigt damit eine affirmative Perspektive auf und eröffnet neue Möglichkeiten der Betrachtung.

LESEN  Die Entscheidung zwischen Simple Past und Past Perfect