Das Kernkraftwerk Tschernobyl war einst ein Musterbeispiel für die Sowjetunion in den 1980er-Jahren. In diesem Zeitraum wurden im Norden der Ukraine nahe der Grenze zu Weißrussland vier Reaktorblöcke gebaut, von denen jeder eine elektrische Bruttoleistung von 1.000 Megawatt hatte.
Ein fataler Sicherheitstest
In der Nacht des 26. April 1986 sollte die Sicherheit des Reaktors im Block 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl, nahe der ukrainischen Stadt Prypjat, überprüft werden. Doch dieser geplante Test geriet aufgrund von Bedienungsfehlern und Konstruktionsmängeln völlig außer Kontrolle.
Am 25. April 1986 war geplant, den Test im Block 4 durchzuführen, der erst 1983 in Betrieb genommen wurde. Dabei sollte durch einen simulierten Stromausfall nachgewiesen werden, dass das Kraftwerk in der Lage wäre, die Notkühlung des Reaktors auch ohne externe Stromversorgung sicherzustellen. Für das Experiment musste die Leistung des Reaktors heruntergefahren werden. Leider schalteten die Techniker währenddessen das Notkühlsystem unnötigerweise aus. Während des Herunterfahrens wurde dann ein erhöhter Strombedarf aus Kiew gemeldet, weshalb das Experiment spontan um neun Stunden verschoben wurde. Der Reaktor wurde in dieser Zeit auf eine Leistung von 50 Prozent heruntergefahren, während das Notkühlsystem abgeschaltet blieb.
Erst in der Nacht auf den 26. April wurde das Experiment schließlich fortgesetzt. Die Leistung des Reaktors wurde weiter heruntergefahren, mit dem Ziel, eine Leistung zwischen 20 und 30 Prozent zu erreichen. Bei 20 Prozent lag die Mindestleistung dieses Reaktortyps. Darunter durfte der Reaktor nicht betrieben werden, da sonst die Gefahr bestand, dass er außer Kontrolle geraten würde.
Was passierte vor der Kernschmelze?
Bei der Leistungsregelung unterlief einem der Techniker allerdings ein folgenschwerer Fehler. Wahrscheinlich aufgrund der Eingabe eines falschen Wertes fiel die Reaktorleistung auf nur noch ein Prozent. Um die Leistung wieder zu steigern, beschlossen die Techniker, Steuerstäbe zu entfernen, mit denen die atomare Kettenreaktion kontrolliert werden konnte. Dabei unterschritten sie die zulässige Minimalgrenze von 28 Stäben. Dennoch stieg die Leistung nur auf sieben Prozent an. Der Reaktor befand sich damit in einem äußerst instabilen Betriebszustand.
Trotz aller Bedenken bestand der stellvertretende Chefingenieur darauf, das Experiment durchzuführen. Daraufhin blockierten die Techniker entgegen der Sicherheitsvorschriften das Signal für die Schnellabschaltung des Reaktors. Für das Experiment wurden die Sicherheitsventile der beiden Turbinengeneratoren geschlossen. Dadurch verringerte sich der Wasserzufluss in den Reaktor augenblicklich und die Temperatur stieg rapide an.
Kettenreaktion und Explosion
Plötzlich kam es zu einer Steigerung der Reaktorleistung. Eine unkontrollierte Kettenreaktion setzte ein. Der Versuch, die Kettenreaktion durch eine Notabschaltung zu unterbinden, misslang. Die Führungskanäle für die Steuerstäbe waren aufgrund der enormen Hitze bereits verformt. Innerhalb weniger Sekunden kam es zu einer extremen Energiefreisetzung in den Brennelementen und zur Zerstörung des Reaktorkerns. Bei über 2.000 Grad Celsius setzte die Kernschmelze ein.
Kurz darauf ereigneten sich zwei Explosionen, vermutlich ausgelöst durch große Mengen Wasserstoff, die sich gebildet hatten. Durch die enormen Explosionen wurde die tonnenschwere Abdeckplatte des Reaktorkerns abgesprengt und das Dach des gesamten Gebäudes aufgerissen. Durch die Explosion und den anschließenden Brand wurden große Mengen an radioaktivem Material freigesetzt, das sich großflächig verteilte.
Ein nuklearer Unfall
Damit trat der GAU (größter anzunehmender Unfall) ein. Bis zur Atomkatastrophe von Fukushima 2011 galt Tschernobyl als der einzige nukleare Unfall, der auf der INES-Skala mit dem Höchstwert 7 (katastrophaler Unfall) eingestuft wurde.
Insgesamt wurden 150.000 km² Weißrussland, Ukraine und Russland durch den Reaktorunfall in Tschernobyl radioaktiv verseucht. Damals lebten in diesem Gebiet fünf Millionen Menschen. Mehr als 330.000 Menschen, die in unmittelbarer Nähe des Reaktors lebten, mussten evakuiert werden. Aufgrund der Wetterbedingungen wurde in ganz Europa eine zusätzliche Fläche von 45.000 km² durch Radioaktivität belastet.