Die dunkle Geschichte des Camp Liebenau in Graz: Ein vergessenes Kapitel der Nazi-Ära

The Dark History of Camp Liebenau in Graz

Die Geschichte des Nazi-Camps in Graz-Liebenau wurde jahrzehntelang nicht angemessen aufgearbeitet. Doch seit Herbst 2020 gibt es eine neue Gedenktafel vor Ort und eine digitale Tour, um dieses dunkle Kapitel nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Das Camp

Das Liebenau Camp (auch bekannt als “Camp V” in römischen Zahlen) wurde 1940 als sogenanntes “Umsiedlerlager” errichtet. Ursprünglich beherbergten die Baracken deutschsprachige Menschen aus anderen Ländern, sogenannte “Volksdeutsche”, die “heim ins Reich” gebracht wurden, bis sie eine dauerhafte Unterkunft erhielten. Bereits 1941 wurde es zu einem Zwangsarbeitslager, in dem die Bewohner in der Steyr-Daimler-Puch-Fabrik arbeiten mussten, um Motorräder, Fahrräder und Waffenteile herzustellen.

Die dunkle Geschichte des Camp Liebenau in Graz
Großes Appell im Puchwerk am 13. Oktober 1942 vor dem stellvertretenden Gauleiter, Gauobmann Dr. Portschy. Quelle: Werksarchiv MAGNA-STEYR.

Gräueltaten des Nazi-Regimes

Im Frühjahr 1945 wurde das Nazi-Camp zur Zwischenstation für ungarische Juden auf dem Todesmarsch nach Mauthausen. Sie waren erschöpft und viele von ihnen waren krank, wurden jedoch kaum mit Nahrung oder medizinischer Versorgung versorgt, obwohl diese zur Verfügung gestanden hätte. Sicher ist, dass viele von ihnen ermordet oder sich selbst überlassen wurden, obwohl unklar ist, wie viele Menschen hier getötet wurden. Augenzeugenberichte, gefundene Habseligkeiten und Hinweise auf vergrabene Bombentrichter deuten jedoch darauf hin, dass hier zahlreiche weitere Morde stattfanden – jedoch wissen wir (noch) nicht, in welchem Ausmaß.

Nachkriegszeit und Liebenau-Prozess

Nach dem Krieg versuchten die Besatzungsmächte, den Tätern einige Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen. Im Zuge des Liebenau-Prozesses im Jahr 1947 wurden 53 Leichen exhumiert, von denen 34 Schusswunden aufwiesen. Die meisten von ihnen wurden auf dem jüdischen Friedhof in Graz beigesetzt, aber leider sind nur wenige von ihnen namentlich bekannt. Anklage wurde gegen die Lagerverwaltung erhoben und die Prozesse endeten mit zwei Todesurteilen und einer Gefängnisstrafe, wobei die Todesurteile kurz darauf vollstreckt wurden. Für viele schien dieses Kapitel offenbar abgeschlossen zu sein, denn es gab lange Zeit kein Interesse an dem Thema. Das Gebiet wurde bebaut und umgestaltet, und alle Hinweise auf die hier einst begangenen Gräueltaten wurden ausgelöscht. Anstelle der Lagerbaracken befindet sich heute eine kleine Siedlung mit Einzel- und Mehrfamilienhäusern und schönen Gärten.

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Bereits kurz nach dem Krieg wurde vermutet, dass hier viel mehr Menschen erschossen wurden als diejenigen, die gefunden wurden, und dass die meisten von ihnen irgendwo begraben liegen. Tatsächlich wurden 1992 zwei Opfer entdeckt, als auf dem Gelände ein Kinderspielplatz errichtet wurde. Erst kürzlich, im Januar 2021, wurden bei Ausgrabungen menschliche Knochen gefunden, die vermutlich den Mordopfern des Nazi-Regimes gehören.

Aufarbeitung und Gedenken

Die Existenz des Nazi-Camps und die dunkle Geschichte von Graz Liebenau gerieten lange Zeit in Vergessenheit, wie es leider oft der Fall ist. Nach dem Prozess wurde das Thema nicht weiter verfolgt und die Vergangenheit ruhte. Im Zuge des Baus des Mur-Kraftwerks in Graz-Puntigam zeigte die Öffentlichkeit endlich Interesse an dem Gebiet und seiner Geschichte. Die Stadt Graz beauftragte gemeinsam mit Energie Steiermark eine Studie am Ludwig Boltzmann Institut unter der Leitung von Barbara Stelzl-Marx. Ausgrabungen auf der Baustelle brachten persönliche Gegenstände wie Kämme, Zeitungen, Briefe, Schmuck und vieles mehr zum Vorschein – jedoch keine weiteren Leichen. Dank der Wissenschaftler wissen wir nun mehr über die Opfer, auch wenn vieles noch im Dunkeln liegt.

Die Forschungsergebnisse sollen nicht im Archiv verschwinden oder nur von einem Fachpublikum betrachtet werden. Sie wurden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, damit die Geschichte des Lagers niemals vergessen wird. Aus diesem Grund wurde am 11. September 2020 eine Gedenktafel an dem Ort errichtet, an dem sich einst das Nazi-Camp befand und wo sich heute der Grünanger oder der Maria-Cäsar-Park befindet. Es erinnert nun an die Morde des Nazi-Regimes, die in Graz Liebenau begangen wurden.

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Digitale Tour

Wir freuen uns, an diesem Projekt gearbeitet zu haben und eine Einblick in die Geschichte des Lagers in Form eines kostenlosen digitalen Reiseführers anbieten zu können: Das Liebenau Camp – ein Ort der verdichteten Geschichte. Ein besonderes Merkmal ist eine historische Vogelperspektive des Gebiets kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, die in die aktuelle Kartenansicht eingebettet ist. Sie soll uns daran erinnern, dass dort, wo sich heute der Park, der Kindergarten und die kleinen Häuser befinden, einst Massenmorde stattfanden.

Digital Tour

Diese digitale Tour wurde vom Ludwig Boltzmann Institut für Forschung über die Folgen des Krieges in Zusammenarbeit mit der Universität Graz (Karl-Franzens-Universität) und der Unterstützung des Cultural Places Teams erstellt.

Die Sponsoren des Projekts sind das Kulturamt der Stadt Graz, das Amt der Steiermärkischen Landesregierung – Kultur, Europa, Sport sowie die Energie Steiermark AG.

Markus Mörth 2020 / Im Auftrag des Ludwig Boltzmann Instituts für Forschung über die Folgen des Krieges und der Stadt Graz