Die Figuren der kritisch engagierten Intellektuellen prägen seit langem das öffentliche Leben in Frankreich. Bereits 1898 erhob der Schriftsteller Émile Zola mit einem offenen Brief Einspruch gegen die Verurteilung des zu Unrecht des Hochverrats beschuldigten Offiziers Alfred Dreyfus. Später verkörperte Jean-Paul Sartre in den 1950er- und 1960er-Jahren diese Spezies von Intellektuellen. Er setzte sich öffentlichkeitswirksam für antikoloniale Bewegungen ein und demonstrierte gegen Menschenrechtsverletzungen des französischen Militärs im Algerienkrieg. Sartres Solidarität mit kommunistischen und rebellischen Bewegungen ging so weit, dass er sogar den RAF-Terroristen Andreas Baader im Gefängnis besuchte, was in bürgerlichen Kreisen für Unmut sorgte.
Strukturalismus und seine Folgen
In den 1960er-Jahren entstand als Gegenentwurf zum Existenzialismus von Sartre das Konzept des Strukturalismus. Claude Lévi-Strauss war einer der führenden Köpfe dieser Bewegung. Das Verhältnis der Strukturalisten zur kommunistischen Bewegung und den Studentenrevolten von 1968 war jedoch von widersprüchlichen Dynamiken geprägt. Die Zeitschrift Tel Quel, zu deren Autoren Roland Barthes und Michel Foucault gehörten, distanzierte sich 1971 von der Kommunistischen Partei Frankreichs und unterstützte fortan den Maoismus. Doch bereits 1976 endete diese Unterstützung und in einer Ausgabe von 1977 wurden die Vorzüge des Individualismus in den USA gepriesen. Der endgültige Bruch zwischen der Kommunistischen Partei Frankreichs und den Intellektuellen erfolgte 1979, als deren Parteichef die Invasion sowjetischer Truppen in Afghanistan befürwortete.
Pierre Bourdieu und sein Werk
Pierre Bourdieu untersuchte ab den 1960er-Jahren die gesellschaftlichen Reproduktionsweisen des französischen Bildungssystems. Gemeinsam mit Jean-Claude Passeron veröffentlichte er 1964 das Buch “Die Erben. Studenten, Bildung und Kultur”. Darin zeigten sie auf, dass der Erfolg im Bildungssystem maßgeblich von der familiären Sozialisation abhing und somit keine Chancengleichheit herrschte. Dieses Buch wurde für die Teilnehmer der Revolte von 1968 in Paris zu einem wichtigen Referenzpunkt.
Neben seinen Untersuchungen zum Bildungssystem beschäftigte sich Bourdieu zunehmend mit den sozialen Bedingungen des Kulturkonsums. Seine Studie zur sozialen Gebrauchsweise der Fotografie aus dem Jahr 1965 ist ein Beispiel dafür. Ab 1969 leitete Bourdieu das Centre de sociologie de l’éducation et de la culture in Paris und konnte dort talentierte Forscher um sich versammeln. Die Analyse kultureller Praktiken und ihrer unterschiedlichen Legitimität stand ab Ende der 1960er-Jahre im Fokus seiner Arbeit. Die Synthese dieser Einzeluntersuchungen mündete schließlich 1979 in der Veröffentlichung von “Die feinen Unterschiede”.
Wirkungsgeschichte und Durchbruch
Die Resonanz auf “Die feinen Unterschiede” fiel zunächst verhalten aus und Bourdieu stieß auf Widerstand. Die Marxisten konnten mit seiner Auflösung des ökonomischen Klassenbegriffs nichts anfangen und kulturkritische Theoretiker sahen den Klassenbegriff durch die Nivellierung der Lebensstile als veraltet an. Zudem passte Bourdieus Ansatz, Theorie und Empirie gleichberechtigt als Quelle wissenschaftlicher Erkenntnis zu nutzen, nicht in das bekannte Schema. Das Buch wurde daher entweder als “theorielos” oder “überkomplex” abgelehnt.
In den 1980er-Jahren gewann Bourdieu jedoch immer mehr Anhänger und seine Methoden und Konzepte wurden in verschiedenen Disziplinen angewendet. Vor allem der Begriff des Habitus machte eine furiose Karriere. Bei einer Umfrage der International Sociological Association im Jahr 1998 erreichte “Die feinen Unterschiede” den sechsten Platz der wichtigsten soziologischen Werke. Dies bedeutete den endgültigen Durchbruch für Bourdieu, der daraufhin auf den Lehrstuhl für Soziologie am Collège de France berufen wurde – eine der höchsten akademischen Positionen, die ein Wissenschaftler in Frankreich erreichen kann.
![Image](link to the image from the original article)