1917 war ein Jahr von großer historischer Bedeutung für Deutschland. Zwei Ereignisse prägten diese Zeit maßgeblich: die russische Revolution im März und der Eintritt der USA in den Krieg im April. Doch auch im Deutschen Reich zeichnete sich eine Veränderung in der Politik ab, beeinflusst von den Entwicklungen in Russland und der Ausweitung des Krieges zum Weltkrieg. Der Kriegswinter und das Frühjahr 1917 waren geprägt von Hoffnung, Enttäuschung und Erschöpfung. Die Westfront befand sich weiterhin in einer Pattsituation, während die Versorgungslage im deutschen Reich zunehmend schwierig wurde. Der “Steckrübenwinter” führte zu Hungerprotesten und Streiks, die mit politischen Forderungen einhergingen. Die politische und militärische Führung setzte dennoch auf verstärkte Kriegsanstrengungen und weitreichende Kriegsziele. Die Februarrevolution in Russland beflügelte die Hoffnungen auf einen “Siegfrieden”.
In dieser Zeit der Unsicherheit und der Spannungen trat plötzlich ein Akteur auf den Plan, der bisher eine untergeordnete Rolle spielte: der Reichstag. Matthias Erzberger, führender Abgeordneter des katholischen Zentrums, nutzte eine Sitzung des Hauptausschusses am 6. Juli 1917, um die Fehlschläge der Reichsleitung anzuprangern und den Reichstag für einen “Frieden des Ausgleichs” einzusetzen. Er forderte, dass die Reichsregierung auf jegliche Annexionen verzichten solle. Seine eindringliche Mahnung war: “Nie [darf] unser Volk dem Reichstag das grausame Wort entgegenschleudern: ‘Zu spät!’”
Die Rede Erzbergers wirkte wie ein Weckruf. Der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert erkannte sofort, dass sie eine völlig neue politische Situation geschaffen hatte. Die bisherige Mehrheit im Reichstag für einen “Siegfrieden” bröckelte, während sich das Zentrum der SPD und der linksliberalen Fortschrittlichen Volkspartei annäherte. Es entstand eine Mehrheit für Frieden und Parlamentarisierung. Die führenden Fraktionsvertreter der SPD, der Fortschrittspartei und des Zentrums trafen sich daraufhin regelmäßig zu Beratungen. Durch diesen “Interfraktionellen Ausschuss” wurde der Reichstag zu einem politischen Machtfaktor und ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum parlamentarischen System war getan.
Die erste Auswirkung dieser neuen politischen Lage war der Sturz des Reichskanzlers am 13. Juli 1917. Die neue Mehrheit warf ihm mangelnde Friedens- und Reformbereitschaft vor. Das zweite Ergebnis war die von Erzberger angeregte Friedensresolution, auf die sich die SPD, die Fortschrittliche Volkspartei und das Zentrum am 17. Juli einigten. Die Resolution zielte auf einen Frieden der Verständigung und dauerhaften Versöhnung der Völker ab. Sie lehnte erzwungene Gebietserwerbungen und politische, wirtschaftliche oder finanzielle Vergewaltigungen ab. Die Resolution wurde am 19. Juli 1917 im Reichstag mit großer Mehrheit angenommen.
Die historische Bedeutung der Friedensresolution liegt nicht in ihrer außenpolitischen Wirkung, sondern in der innenpolitischen Dynamik, die sie auslöste. Sie provozierte eine heftige politische Gegenbewegung, die sich zur “Deutschen Vaterlandspartei” formierte und für annexionistische Kriegsziele eintrat. Diese Polarisierung zwischen einer “nationalen” Rechten und den gemäßigten Parteien prägte die deutsche Geschichte für die nächsten Jahre. Die Friedensresolution war das Gründungsdokument einer neuen demokratischen Mitte, die später eine entscheidende Rolle bei der Transition von der Monarchie zur Demokratie spielte.
Die Friedensresolution des Deutschen Reichstags im Jahr 1917 war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Parlamentarisierung und Demokratisierung des Deutschen Reichs.
(Eva Rimmele)