Die Geheimnisse der verfilmten Bücher

Die Geheimnisse der verfilmten Bücher

Die Verfilmung eines Buches gilt oft als zweite Wahl. Doch der Diogenes-Verlag hat eine neue Strategie entwickelt, um dem Buch wieder seine Vorreiterrolle zurückzugeben. In der Neuauflage von Alfred Anderschs Roman “Sansibar oder letzte Grund” werden gleich zwei Verfilmungen als DVD-Videos im Buchrücken mitgeliefert. Diese Besonderheit ermöglicht es nun, die Filme direkt miteinander und mit der Vorlage zu vergleichen. Dabei werden ganz besondere Details und Entdeckungen gemacht.

Die ersten Verfilmungen

Die erste Verfilmung mit dem Titel “Sansibar” entstand bereits 1961, nur vier Jahre nach der Veröffentlichung des Romans. Unter der Regie von Rainer Wolffhardt und mit einem Drehbuch von Leopold Ahlsen wurde eine werkgetreue Adaption geschaffen. Dabei entstand ein eindringliches Kammerspiel mit bekannten Schauspielern wie Robert Graf, Paul Dahlke und Karl Lange. Die Erzählweise des Romans, die das Geschehen aus den Perspektiven von fünf Hauptfiguren schildert, wurde jedoch in eine lineare und chronologische Geschichte umgewandelt. Dadurch verlor die Figur des Schiffsjungen an Bedeutung. Dennoch wurden die vagen Andeutungen des Romans übernommen, obwohl sie in der Nachkriegszeit vielleicht nicht weiter betont werden mussten.

Wickis zeitgemäße Interpretation

Ganz anders präsentierte sich Bernhard Wicki bei seiner Version von “Sansibar oder Der letzte Grund” im Jahr 1987. Wicki war zu dieser Zeit noch mit seinem Mammutwerk “Das Spinnennetz” beschäftigt und nutzte das Angebot des WDR, um die Finanzierung des Films abzusichern. Gemeinsam mit seinem Co-Autor Wolfgang Kirchner schrieb er ein komplett neues Drehbuch. Wicki selbst war während des Zweiten Weltkriegs aufgrund seiner Mitgliedschaft in der Kommunistischen Jugend im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Daher betonte er die zeitlichen Bezüge in seiner Verfilmung. Auch er verschob die Perspektive vom naiven Jungen auf den Kommunisten, nannte die Nazis beim Namen und thematisierte die “Entartete Kunst”. In Wickis Version entstand ein Zeitgemälde, das weit über Anderschs Roman hinausging.

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Die Inszenierung der Barlach-Figur

Besonders beeindruckend ist Wickis Inszenierung der Barlach-Figur. Durch verschiedene Kameraperspektiven und Lichtakzentuierungen wird sie quasi zur sechsten Hauptfigur. Die anderen Charaktere sprechen ständig mit dem Lesenden Klosterschüler, nehmen ihn in den Arm, und selbst eine Kuh leckt auf der Flucht am Holz. Im Ruderboot lässt sich Mensch und Kunstwerk beim nächtlichen Licht kaum noch unterscheiden. Wickis Version von “Sansibar oder Der letzte Grund” ist mit 163 Minuten über eine Stunde länger als die erste Verfilmung und fesselt den Zuschauer mit einer Vielzahl von Handlungssträngen. Darüber hinaus ist der Film eine seltene Ost-West-Koproduktion, die vor Ort in der DDR gedreht wurde und mit Stars aus Ost und West besetzt war.

Ein verstecktes Juwel

Leider gab es Differenzen mit der Defa, wodurch der Film nicht im Kino, sondern nur im Fernsehen gezeigt wurde. Dies führte dazu, dass der Film in Vergessenheit geriet und keine Filmkopien erstellt wurden. Doch nun haben Leser die Möglichkeit, dieses späte Kleinod und die längst vergessene Version von Wolffhardt zu entdecken. Mit den beiliegenden DVD-Videos kann man die Filme zum Buch unmittelbar erleben und die spannenden Geheimnisse der verfilmten Bücher enthüllen.

Lesender Klosterschüler