Die Geschichte der A- und B-Post: Vom “Fiasco historique” zum Normalfall

Die Geschichte der A- und B-Post: Vom “Fiasco historique” zum Normalfall

Die A- und B-Post sind heute selbstverständlich, aber sie sind gar nicht so alt. Noch vor 1990 war der Normalfall, dass man einen Brief mit einer Briefmarke versehen in den Briefkasten warf und am nächsten Tag der Postbote den Brief zum Empfänger brachte. Doch steigende Mengen an Briefen bereiteten den damaligen Postchefs, damals noch PTT genannt, Sorgen. Sie befürchteten, dass das Motto der Post – “heute eingeworfen, morgen zugestellt” – nicht mehr eingehalten werden konnte.

Um das Problem zu lösen, musste eine Lösung her. Die PTT-Direktoren, damals noch keine verbreiteten Manager, fanden eine einfache Maßnahme: Es sollte zwei verschiedene Laufzeiten geben. Nur wer eine teurere Briefmarke kaufte, hatte die Garantie, dass der Brief am nächsten Tag geliefert wurde. Damit sollte die Zustellung entlastet werden. Die Post versprach sich auch mehr Gewinn, aber das nur am Rande.

Die Reaktionen auf die Einführung von A- und B-Post waren heftig. Und die Gemüter beruhigten sich nur langsam. Während des ganzen Jahres nach der Einführung lassen sich zahlreiche negative Schlagzeilen finden. So titelte die Zeitung “La Gruyère” beispielsweise mit “Fiasco historique”. In Genf musste der Grosse Rat sogar eine Sitzung absagen, weil die Postzustellung der Tagesordnung nicht richtig funktionierte. Das Parlamentsbüro erklärte dies damit, dass die A-Post schlecht funktionierte und die B-Post überhaupt nicht funktionierte.

Es kam auch vor, dass die A-Post nicht am nächsten Tag zugestellt werden konnte. Ein Test ergab, dass 9 Prozent der A-Post-Briefe zu spät ankamen. Der Generaldirektor der PTT, Jean-Noël Rey, sprach von einem “schlechten” Ergebnis. Es gab auch den Vorwurf, dass die B-Post zurückgehalten wurde, um den Preisunterschied zu rechtfertigen. Eine Postsprecherin erklärte damals, dass das System wahrscheinlich zu komplex für die Kunden sei. Aus heutiger Sicht eine absurde Aussage.

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Es gab sogar die Forderung, das ganze System abzuschaffen. 105 Bundesparlamentarier unterstützten einen entsprechenden Antrag. Eine repräsentative Umfrage in der Zeitung “SonntagsBlick” ergab, dass die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer das neue Postsystem wieder abschaffen wollte. Doch wie wir heute wissen, ist daraus nichts geworden.

Auch eine Schätzung der Post zur Anzahl der Briefe traf nicht ein. Damals ging man von einem jährlichen Anstieg von 120 Millionen Briefen aus. In den ersten Jahren nach der Einführung stieg die Anzahl tatsächlich an, von 2,4 Milliarden Briefen auf fast 3 Milliarden. Doch schon in den 2000er-Jahren zeigte sich das, was der Post heute große Probleme bereitet: Es werden weniger Briefe verschickt. Durch den Rückgang verliert die Post wichtige Einnahmen.

Die Post ging bei der Einführung davon aus, dass etwa ein Viertel aller Briefe künftig per A-Post verschickt werden würde. Es gab jedoch die Angst, dass dieser Anteil steigen und die Post wieder in Schwierigkeiten bringen würde. Die Zeitschrift “Cash” schrieb 1991: “Die Gewerkschaft PTT-Union erwartet daher, dass zukünftig 50 Prozent der Briefe zum A-Tarif von 80 Rappen verschickt werden.” Wenn dies der Fall wäre, wäre auch die Reduzierung der personal- und kostenintensiven Nachtarbeit in Frage gestellt.

Die Banken waren mit der neuen Regelung nicht zufrieden. Schließlich sind Bankdokumente wichtig und müssen schnell bei den Kunden sein. Also entschieden die Banken, alles per A-Post zu versenden. Die Kosten dafür mussten die Kunden teilweise tragen. Die Zeitung “Tages-Anzeiger” titelte daraufhin: “Die PTT haben sich verrechnet – Banken boykottieren B-Post”. Übrigens bevorzugte die Verwaltung vor allem die gemächlichere B-Post – da drängt sich fast schon ein Beamtenwitz auf.

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Die Angst vor einem Kollaps war unbegründet. Der Anteil der A-Post pendelte sich bei rund einem Viertel ein – mit einer leichten Tendenz nach oben in den letzten Jahren. Im Jahr 2020 betrug der Anteil knapp 30 Prozent. Viele haben erkannt: Ihre Post ist nicht so dringend, dass sie einen Aufschlag dafür bezahlen wollen.

Um die Sortierung zu erleichtern, ließ die Post 1991 neue Briefmarken gestalten. Rot für schnelle A-Post, Blau für die gemächlichere B-Post. Die Reaktion aus der Philatelisten-Ecke war bescheiden. Die NZZ schrieb damals: “Ausgesuchte Schönheiten sind die beiden etwas flach-verschwommen wirkenden Marken allerdings nicht, auch wenn sie für manche Philatelisten wohl eine eher erfreuliche Rückkehr vom Trend der Bildchenmarken zu dem der Markenmarken darstellen.”

Eine andere Idee, A- und B-Post schneller zu sortieren, setzte sich nicht durch. In Aarau und Luzern stellten die PTT jeweils einen Briefkasten für A-Post und einen für B-Post auf. Der Versuch wurde jedoch abgebrochen.

Seit der Einführung hat die Post ihre Tarife erhöht. Der Preis stieg von anfänglich 50 Rappen auf 85 Rappen für die B-Post. Bei der A-Post stieg der Preis in den letzten 30 Jahren um 20 Rappen. Die nächste Erhöhung steht jedoch bereits an. Wie hoch sie ausfallen wird, ist noch unklar, ebenso ob sie bereits 2022 umgesetzt wird.

Paradoxerweise führte die Post die B-Post ein, um der Flut von Briefen gerecht zu werden. Doch was damals niemand vorhergesehen hatte: Heute, 30 Jahre später, müssen die Postboten Brote und Kleinpakete ausliefern, um besser ausgelastet zu sein. Eigentlich könnte man also die Zweiklassengesellschaft bei den Briefen wieder abschaffen.

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