Wer kennt es nicht? Man sitzt in einem gemütlichen Restaurant und schaut auf die umfangreiche Weinkarte. Doch statt den vollen Genuss des edlen Rebensaftes zu erleben, ist man überfordert von den zahllosen Geschmacksrichtungen und -graden. Was bedeuten eigentlich trocken, halbtrocken, lieblich und süß bei Wein? Und gibt es Unterschiede in der Klassifizierung zwischen deutschen und spanischen Weinen? Wir haben die Antworten und bringen Licht ins Dunkel der Weinwelt.
Geschmacksangaben in Spanien und Deutschland
Deutschland und Spanien halten sich beide an die Vorgaben der Europäischen Union für die Klassifizierung von Weingeschmacksrichtungen. Die Einstufung als trocken, halbtrocken, lieblich oder süß hängt dabei vom Restzuckergehalt (RZ) des Weins ab, der in Gramm pro Liter (g/l) angegeben wird. Beachten Sie jedoch, dass für stille und prickelnde Weine unterschiedliche Regelungen gelten.
Für Rot-, Rosé- und Weißweine gelten folgende Geschmacksgrade:
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Ein Wein mit höchstens 4 g/l Restzucker gilt als “trocken” (spanisch: “seco”). Es gibt jedoch eine Ausnahme: Weine, die bis zu 9 g/l Restzucker enthalten, können ebenfalls als “trocken” bezeichnet werden, sofern ihr Gesamtsäuregehalt um höchstens 2 g/l niedriger liegt als der Restzuckergehalt. Klingt kompliziert? Hier ein Beispiel: Ein Wein mit 8,5 g/l RZ und 6,5 g/l Säure gilt als trocken. Würde die Säure dagegen 6,3 g/l betragen, würde der Wein nicht mehr als “trocken” gelten, da die Säure mehr als 2 g/l niedriger als der Restzucker ist. In diesem Fall würde der Wein in die Kategorie “halbtrocken” fallen.
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Halbtrockene Weine dürfen einen Restzuckergehalt von bis zu 12 g/l aufweisen. Die spanische Bezeichnung lautet “semi-seco”. Auch hier gibt es eine Ausnahme: Solange der Restzucker den Säuregehalt nicht um mehr als 10 g/l übersteigt, kann ein halbtrockener Wein bis zu 18 g/l Restzucker enthalten. Ein Wein mit 16 g/l RZ und 6,0 g/l Gesamtsäure gilt somit noch als halbtrocken, während ein Wein mit 16 g/l RZ und 5,9 g/l Gesamtsäure bereits als “lieblich” eingestuft wird.
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Liebliche Weine haben einen höheren Restzuckergehalt als halbtrockene Weine und enthalten maximal 45 g/l Restzucker. Die spanische Bezeichnung lautet “semi-dulce”. Die in Deutschland beliebte Angabe “feinherb” ist übrigens kein gesetzlich definierter Begriff im Weinrecht. Unter “feinherb” können sowohl halbtrockene als auch liebliche Weine fallen.
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Als “süß” gelten Weine mit einem Restzuckergehalt von über 45 g/l. Die spanische Bezeichnung lautet “dulce”.
Für Schaumweine gelten andere Geschmacksgrade als für stille Weine. Da Kohlensäure die Süßwahrnehmung abschwächt, liegen die erlaubten Restzuckerwerte in der Regel höher als bei stillen Weinen. In der EU gelten folgende Regelungen:
- Brut Nature: 0 bis 3 Gramm Restzucker je Liter
- Extra Brut: 0 bis 6 Gramm Restzucker je Liter
- Brut: 0 bis 12 Gramm Restzucker je Liter
- Extra Trocken (spanisch: “Extra Seco”): 12 bis 17 Gramm Restzucker je Liter
- Trocken (spanisch: “Seco”): 17 bis 32 Gramm Restzucker je Liter
- Halbtrocken (spanisch: “Semi-Seco”): 32 bis 50 Gramm Restzucker je Liter
- Mild (spanisch: “Dulce”): über 50 Gramm Restzucker je Liter
Beachten Sie, dass die Angabe des Süßegrads auf dem Etikett von Schaumweinen verpflichtend ist, während bei stillen Weinen die Angaben wie trocken, halbtrocken oder lieblich freiwillig sind.
Der Praxistest: Spanische und deutsche Weine im Vergleich
Obwohl die gesetzlichen Regelungen für Geschmacksgrade bei stillen und prickelnden Weinen in Spanien und Deutschland identisch sind, gibt es in der Praxis große Unterschiede in Stil und Popularität der Geschmacksrichtungen.
Spanien hat eine jahrtausendealte Tradition in der Herstellung von Süßweinen und bietet natürlich auch eine enorme Vielfalt an trockenen Weiß-, Rosé- und Rotweinen. Im Gegensatz zu Deutschland sind halbtrockene und liebliche Stillweine auf der iberischen Halbinsel jedoch praktisch nicht vertreten. Spanischer Wein ist entweder trocken oder süß – ein “Zwischending” gibt es fast nicht.
Darüber hinaus sind trockene Weine in Spanien häufiger vollständig durchgegoren, was bedeutet, dass sie keinen nennenswerten Restzucker enthalten. Bei der Gärung wird Zucker durch Hefen in Alkohol umgewandelt. Wenn dieser Prozess nicht gestoppt wird, entsteht ein “vollständig durchgegorener” Wein mit wenig oder gar keinem Restzucker.
Die meisten trockenen Weine in Deutschland, insbesondere Weißweine, sind dagegen nicht vollständig durchgegoren und enthalten mehr oder weniger Restzucker. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass spanische Weine aufgrund des wärmeren Klimas in der Regel einen niedrigeren Säuregehalt haben als deutsche Weine. Säure tritt bei Weinen ohne Restzucker stärker im Geschmack hervor. Die dezente Restsüße in deutschen trockenen Weinen verhindert jedoch, dass sie als zu säuerlich empfunden werden. Das deutsche Weinvokabular verwendet dafür den Begriff “Spiel”. Ein Wein mit “feinem Spiel” zeichnet sich durch eine angenehme Balance von Süße und Säure aus. Solch einen Begriff gibt es in der spanischen Weinsprache nicht.
Zu beachten ist auch, dass es innerhalb der jeweiligen Geschmacksgrade große Unterschiede geben kann. Es gibt knochentrockene Weine ohne jeglichen Restzucker sowie trockene Weine mit spürbarer Restsüße.
Besonders frappierend sind die Unterschiede bei Süßweinen. Ein traditioneller Süßwein aus Alicante ist zum Beispiel der “Fondillón”. In der Regel enthält er moderate 50 g/l Restzucker. Der Fondillón wird aus spät geernteten Monastrell-Trauben hergestellt, die durch Überreife einen ausreichend hohen Zuckergehalt aufbauen. Die Gärung wird auf natürliche Weise gestoppt, ohne Zugabe von Weingeist, sodass der enthaltene Zucker dem Wein einen süßen Geschmack verleiht. Solche Weine wurden traditionell in einem Solera-System ähnlich dem von Sherry ausgebaut.
Ein PX-Süßwein aus der Rebsorte Pedro Ximénez (PX) aus dem Sherry-Gebiet hingegen kann mit bis zu 400 g/l RZ äußerst üppig und sinnlich sein. Für diesen Weinstil werden die Trauben in der Sonne getrocknet, verlieren dabei an Flüssigkeit und werden extrem süß. Die Gärung wird durch Zugabe von hochprozentigem Weingeist gestoppt, wodurch der Wein mit über 15% Alkoholgehalt angereichert wird. Durch den frühen Gärstopp bleibt fast der gesamte Traubenzucker im Wein erhalten, wodurch er besonders süß schmeckt.
Trocken, halbtrocken, lieblich oder süß – diese Geschmacksgrade sind nicht nur eindeutige Kategorien, sondern ein Spiegelbild der unterschiedlichen Traditionen und Geschmäcker in den Weinanbaugebieten. Also lassen Sie sich von den vielfältigen Weinwelten inspirieren und finden Sie Ihren persönlichen Favoriten!