Beim Verlassen des Hauses kommt Ihnen der neue Nachbarshund freudig entgegen. Während er am Hosenbein schnüffelt, streicheln Sie ihm liebevoll über den Kopf. Die Nachbarin grüßt zwar freundlich, aber nimmt den Hund zur Seite. War das Streicheln keine gute Idee? Vor allem niedliche Hunde mit flauschigem Fell verführen viele Menschen dazu, sie zu berühren, ohne den Besitzer zu fragen.
Dabei sollten Sie das Streicheln lieber unterlassen. “Eine fremde Person sollte nicht ohne Weiteres auf einen Hund zugehen und ihn anfassen wollen”, sagt Barbara Schöning, eine Fachtierärztin für Verhaltenskunde und eine der Autorinnen von “Hunde – alles, was man wissen muss”.
Beobachten ist besser als streicheln
Da Sie bei einem fremden Hund nicht wissen, an welchen Körperstellen er gern oder ungern gestreichelt wird, kann er sich bedroht fühlen. “Ich weiß nicht, ob der fremde Hund das Anfassen als Bedrohung interpretiert, dann Angst bekommt und eventuell aggressiv reagiert”, sagt Schöning.
Daher sollten Sie fremde Hunde nur beobachten. Das fällt vielleicht schwer, aber “Hunde sind nicht auf dem Planeten, damit wir sie anfassen können”, sagt Justina Lempe, Gründerin der freien Hundeschule Berlin und Autorin von “Mein Hund – mein Freund: Das Trainingsbuch für Jugendliche”.
Auch wenn ein Hund im Park auf einen fremden Menschen zugeht, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass er gestreichelt werden möchte. Hunde sind einfach neugierig. Daher sollten Sie auch dann vermeiden, ihn anzufassen. “Ich würde einen fremden Hund schnüffeln lassen und dann gegebenenfalls weitergehen”, sagt Schöning. Auch wenn Sie sich gut mit den Vierbeinern auskennen, sollten Sie das Streicheln lieber lassen oder zumindest den Besitzer vorher um Erlaubnis fragen.
Doch was machen Sie als Besitzer, wenn jemand ungefragt Ihren Hund streichelt und Sie das nicht möchten? Schöning rät zu folgender Erklärung: “Mein Hund schätzt es nicht, wenn er gestreichelt wird.” Allerdings akzeptieren manche Menschen diese Begründung nicht. “Da würde ich einfach sagen: Mein Hund hat Flöhe oder er beißt”, sagt Rene Luczyk, Inhaber der Hundeschule “Pfotentreff” in Olfen. Auch Schöning findet in diesem Fall eine Notlüge in Ordnung.
Signale richtig deuten
Wenn Sie zu Besuch bei Hundebesitzern sind, ist der Kontakt zu den Tieren länger und der Hund wird nach einiger Zeit vertrauter. Dann könnten Sie versuchen, den Hund vorsichtig zu streicheln. Sie sollten allerdings unbedingt auf ein paar Signale achten: Wenn er berührt werden möchte, erkennen Sie es daran, dass der Hund einen entspannten Eindruck macht, besonders im Gesicht, sich vielleicht auch an den Menschen herandrückt. Beim Streicheln sollte der Körper des Hundes unter der Hand locker sein.
Ist der Hund dagegen angespannt, sollten Sie ihn auf keinen Fall streicheln. Dies zeigt sich zuerst durch ein angespanntes Gesicht, häufig auch durch einen leicht abgewandten Kopf, bevor dann auch der Körper angespannt wird. “Sobald die Hunde sich wegdrehen, wollen sie aus der Situation raus”, erklärt Rene Luczyk. Ein weiteres Signal für die Ablehnung der Streicheleinheiten ist es, wenn der Hund sein Gewicht auf die andere Seite verlagert.
Auch zugekniffene Augen, nach hinten gerichtete Ohren oder völlig regungslose Hunde sind kein gutes Zeichen. “Viele Hunde frieren auch ein, wenn ihnen etwas unangenehm ist”, sagt Justina Lempe. Das ist ein eindeutiges Zeichen, welches viele jedoch nicht sehen und sich dann wundern, warum der Hund plötzlich zuschnappt. Lempe empfiehlt Hundeliebhabern zu warten, bis der Hund selbst Kontakt zum Menschen aufnimmt.
Wenn Sie beispielsweise bei Hundebesitzern zu Besuch sind, können Sie sich an den Tisch setzen und schauen, wie der Hund reagiert. Dieser kann dann unter den Tisch kriechen und sich langsam an den Menschen herantasten. Da die Signale des Hundes für Menschen ohne Hundeerfahrung und Kinder nicht gut zu erkennen sind, sollten sie besonders vorsichtig sein. Das gilt auch bei Welpen, die laut Luczyk und Lempe gerne mal in die Hand beißen. “Junge Hunde wollen lieber spielen”, erklärt Justina Lempe.
Fremde Hunde nur am Rücken streicheln
Wenn klar ist, dass der Hund gerne gestreichelt werden möchte, sollten Sie laut Rene Luczyk dafür am besten in die Hocke gehen, anstatt sich über ihn zu beugen, denn das könnte er als Bedrohung wahrnehmen. Dann sollten Sie ihn erst an der Hand schnüffeln lassen. Lempe findet das dagegen unnötig, da die Vierbeiner auch mit zwei Metern Abstand gut riechen können. “Aus der Hundesicht ist das sehr unhöflich, weil das eine Vorwärtsbewegung in die Individualdistanz ist.”
Sie würden Beschwichtigungssignale zeigen, wie Gähnen oder Lecken über den Nasenspiegel, weil sie sich mehr Distanz wünschten. Lempe und Luczyk sind sich jedoch darüber einig, dass man einem fremden Hund nicht in die Augen starren sollte. Außerdem sollten Sie ihn lieber nicht am Gesicht, am Kopf oder am Bauch streicheln. Auch Umarmungen sind tabu.
Der Hund fühlt sich dadurch eingeengt und das kann ihn aggressiv machen. “Ich falle einem fremden Menschen auch nicht einfach so um den Hals”, sagt Luczyk. Auch während der Nahrungsaufnahme sollte ein fremder Hund generell nicht gestreichelt werden. Das führt dazu, dass der Hund anfängt zu schlingen oder sogar beißt, da er sein Futter verteidigen möchte.
Vorlieben des eigenen Hundes berücksichtigen
Während Sie bei einem fremden Hund bestimmte Partien nicht berühren sollten, ist beim eigenen Hund alles erlaubt, was diesem gefällt. “Der Besitzer weiß ja in der Regel am besten, wo und wie sein Hund gerne angefasst wird. Da gibt es kein richtig oder falsch”, sagt Schöning. Wenn es dem Hund gefällt, dürfen Besitzer ihren Hund auch am Bauch und am Kopf streicheln, so Rene Luczyk.
Viele Hunde legen sich laut Justina Lempe auf den Rücken und präsentieren ihren Bauch. Das sei ein eindeutiges Zeichen, dass sie sich dort Streicheleinheiten wünschen. Auch wenn sie ihren Kopf an ihren Besitzer legen oder anderweitig Körperkontakt suchen, ist Schmusen erwünscht. Ein No-Go ist es für Luczyk, den Hund an die Seite zu klopfen. “Das ist eine schreckliche Angewohnheit”. Das gefällt keinem Hund und kann im schlimmsten Fall zu inneren Verletzungen führen.
Laut Schöning und Lempe dürfen Sie Ihren eigenen Hund sogar umarmen und küssen, wenn der Hund es toleriert. Sie sollten nur darauf achten, dass es ihm nicht zu viel wird. Außerdem sollte der Vierbeiner entspannt sein. Drinnen auf dem Sofa trifft das eher zu als draußen, wo herumgetobt wird. Ihren Hund sollten Sie dagegen nicht streicheln, wenn er gerade Fehlverhalten zeigt. Das signalisiert dem Vierbeiner, dass sein Verhalten richtig war. “Der Hund kann das als Verstärkung verstehen”, sagt Luczyk.
Laut Schöning ist es gar nicht gut, den Hund aus dem Schlaf aufzuschrecken, weil Sie ihn gerade streicheln möchten. Wer seinem Hund eine besonders angenehme Streicheleinheit gönnen möchte, für den hat Lempe einen “absoluten Geheimtipp, der aber eklig ist”. Sie können den Hund im Ohr kraulen und ihn dann das Ohrenschmalz abschlecken lassen. “Da stehen alle Hunde drauf”, sagt die Hundetrainerin.