Ist es wirklich sicher, welche Ursachen einer Lese-Rechtschreibstörung zugrunde liegen? Gibt es vielleicht sogar nur eine einzige Ursache? Lasst uns einen Blick auf den aktuellen Forschungsstand werfen und schauen, was wir herausfinden können.
Eine Kombination von Ursachen
Es wird angenommen, dass eine Lese-Rechtschreibstörung (LRS) nicht durch einen einzelnen Faktor verursacht wird, sondern durch eine Kombination verschiedener Bedingungen. Daher handelt es sich wahrscheinlich um eine heterogene Störung. Die Ursachen können unter anderem genetische Faktoren, das Nervensystem, psychosoziale Faktoren wie das Elternhaus und die Schule, sowie die Informationsverarbeitung umfassen. Allerdings sind die genauen Ursachen noch nicht abschließend erforscht und es besteht weiterer Forschungsbedarf, um Hypothesen zu klären und Erkenntnisse zu sichern.
Genetik
Wenn ein Geschwisterteil von Legasthenie betroffen ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind selbst eine Lese- und/oder Rechtschreibstörung entwickelt, deutlich erhöht. Allerdings führt der genetische Faktor nicht zwangsläufig zu Legasthenie. Das Wiederholungsrisiko liegt zwischen 43% und 60%. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass eine genetische Veranlagung besteht. Studien mit eineiigen und zweieiigen Zwillingen haben gezeigt, dass das Risiko, Legasthenie zu entwickeln, deutlich erhöht ist, wenn eines oder sogar beide Elternteile betroffen sind. Die Vererbung der Lesefähigkeit wird auf etwa 50% geschätzt, während die Vererbung der Rechtschreibfähigkeit bei ungefähr 60% liegt. Die genauen Gene, die bei der Vererbung eine Rolle spielen, sind jedoch noch weitgehend ungeklärt. Die genetische Forschung hat jedoch bereits verschiedene Genorte identifiziert, die für die Entstehung einer Lese-Rechtschreibstörung relevant sein könnten.
Neurobiologie und Kognition
Eine wichtige Voraussetzung für die Wahrnehmung und Verarbeitung von Wörtern und Sprache ist, dass bestimmte Prozesse im Gehirn und im Nervensystem ungestört ablaufen. Besonders die visuelle und auditive Informationsverarbeitung spielen dabei eine entscheidende Rolle. Untersuchungen haben gezeigt, dass bei Menschen mit Legasthenie bestimmte Funktionen in der linken Gehirnhälfte anders ablaufen oder Störungen aufweisen im Vergleich zu Menschen ohne Lese-Rechtschreibstörung. Zum Beispiel wurden Unterschiede bei der Lautunterscheidung und Speicherung von Lauten im Gedächtnis sowie bei der Laut-Buchstaben-Zuordnung festgestellt. Die Ergebnisse dieser Forschung wurden mithilfe bildgebender Verfahren erzielt, die die Aktivität im Gehirn darstellen können. Zu den häufig genutzten Verfahren gehören die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) und die Positronen-Emissions-Tomographie (PET).
Psychosoziale Faktoren
Das soziale Umfeld, wie das Elternhaus und die Schule, spielt eine Rolle bei der Entwicklung einer Lese-Rechtschreibstörung. Allerdings können psychosoziale Faktoren nicht als alleinige Verursacher betrachtet werden. Sie können die bestehenden Probleme verstärken oder abschwächen, haben aber keinen direkten Einfluss auf die Entstehung der Störung. Dennoch können das häusliche Umfeld und schulische Faktoren die Lese-Rechtschreibleistung beeinflussen, indem sie zum Beispiel die Einstellung zur Schriftsprache beeinflussen. Eine positive familiäre Unterstützung und ein motivierender Umgang mit Lesen können die Lesemotivation erhöhen und somit zu einem erfolgreichen Lesenlernen beitragen. Unterschiedliche soziokulturelle Faktoren, wie Bildung, Einkommen und der sozioökonomische Status der Familie, können sich auf die Lese-Rechtschreibleistung auswirken. Die Kommunikation zwischen Eltern und Kind sowie der Bildungsstand innerhalb der Familien spielen hierbei eine Rolle.
Fazit
Die genauen Ursachen einer Lese-Rechtschreibstörung sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass genetische, neurobiologische und kognitive Faktoren eine verursachende Rolle spielen, während psychosoziale Faktoren die bestehenden Probleme verstärken oder abschwächen können. Weitere Forschung ist jedoch erforderlich, um bestimmte Hypothesen zu bestätigen und ein umfassendes Verständnis der Ursachen zu erlangen.
Quellen
- Ligges, Carolin (2007): Die Bedeutung der Phonologie für die Lese-Rechtschreibstörung.
- Schulte-Körne, Gerd (Hrsg.) (2007): Legasthenie und Dyskalkulie: Aktuelle Entwicklungen in Wissenschaft, Schule und Gesellschaft.
- Scheerer-Neumann, Gerheid (2018): Lese-Rechtschreib-Schwäche und Legasthenie.
- Schulte-Körne, Gerd (2002): Neurobiologie und Genetik der Lese-Rechtschreibstörung (Legasthenie).
- Schulte-Körne, Gerd (Hrsg.) (2002): Legasthenie: Zum aktuellen Stand der Ursachenforschung, der diagnostischen Methoden und der Förderkonzepte.
- Schulte-Körne, Gerd / Katharina Galuschka (2019): Lese- / Rechtschreibstörung (LRS) (Leitfaden Kinder- und Jugendpsychotherapie).
- Wimmer, Heinz und Martin Kronbichler (2002): Legasthenie: Neurokognitive Erklärungen auf dem Prüfstand.