Die wahren Gründe für die Aggression von Hunden an der Leine

Hunde an der Leine

Hund mit Leine

Wer kennt das nicht: Zwei Hunde, jeweils an der Leine geführt, begegnen sich. Plötzlich beginnt ein heftiger Streit zwischen den beiden, obwohl sie sich kennen und ohne Leine keine Probleme miteinander haben. Was steckt dahinter?

Warum sind Hunde an der Leine aggressiv?

Früher wurde oft behauptet, dass der Hund sich an der Leine mächtig fühlt oder seinen Halter beschützen möchte. Heute wissen wir jedoch, dass die Leinenaggression ganz andere Ursachen hat. Unsere Hunde sehen sich immer wieder folgender Situation ausgesetzt: Auf einem schmalen Weg kommt ihnen ein Mensch mit einem angeleinten Hund entgegen. Wenn sich die beiden Hunde im Freilauf begegnen würden, würden sie höchstwahrscheinlich stehenbleiben oder in einem Bogen aneinander vorbeigehen. Dies ist ihnen jedoch aufgrund der Leine nicht möglich. Im Gegenteil: Oft kann beobachtet werden, dass der Hundehalter die Leine noch kürzer nimmt, um den Hund besser kontrollieren zu können oder um direkten Kontakt zu vermeiden. Die beiden Hunde gehen nun direkt aufeinander zu, was für das Gegenüber bedrohlich wirken kann. Oft kann man bereits ein deutliches Drohverhalten feststellen. Die Hunde fixieren sich gegenseitig und sind nicht mehr ansprechbar. Trotz der Drohgebärden unterschreiten beide Hunde weiterhin den persönlichen Abstand, wodurch sie keine andere Wahl haben, als aggressiv zu reagieren.

Zusammenfassend kann man sagen, dass es in einer Freilaufsituation nicht zu solch einer Ausnahmesituation kommen würde, da die Hunde normalerweise vermeiden würden, direkt aufeinander zuzugehen. Durch die Leine werden sie jedoch daran gehindert, ihren individuellen Abstand einzuhalten. Dadurch fühlen sich die Hunde eingeengt und reagieren entsprechend aggressiv.

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Warum entwickelt sich Leinenaggression und welche Rolle spielt der Halter?

Es kommt immer das erste Mal vor: Mein Hund begegnet einem anderen Hund, der ihm nicht ganz geheuer ist, er hat Angst. Hunde haben vier Möglichkeiten, mit ihrer Angst umzugehen: Sie können flüchten, was jedoch durch die Leine verhindert wird. Sie können erstarren, doch meistens wird der Hund vom Halter weitergezogen. Sie können eine Spiel-Aufforderung geben, um die Situation zu entschärfen – auch diese Möglichkeit ist an der Leine nur eingeschränkt möglich – oder sie reagieren mit aggressivem Verhalten.

Warum wird Aggression als häufigste Strategie gewählt?

Dies ist ein Lernprozess für den Hund. Er hat gelernt, dass er durch Aggression Erfolg haben kann. Der andere Hund nähert sich nicht weiter oder das andere Hund-Halter-Team weicht dem bellenden Gespann lieber aus. Mit anderen Worten: Aggression bewirkt den gewünschten Abstand.

Auch der Halter spielt eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Oft beobachtet man, dass Halter des aggressiven Hundes mit ihm schimpfen oder versuchen, das unerwünschte Verhalten abzubrechen. Der Hund kann das Verhalten seines Halters auf zwei Arten verstehen:

  1. “Mein Herrchen bellt mit, also mache ich alles richtig.”
    Hunde tun nur das, was sich für sie lohnt. Eine Art Belohnung für den Hund ist die Aufmerksamkeit des Halters. Es spielt keine Rolle, ob die Aufmerksamkeit in Form von netten Worten oder Beschimpfungen kommt. Schimpfen ist besser als keine Aufmerksamkeit, und somit wird das Verhalten belohnt.

  2. “Oh nein, mein Herrchen ist jetzt auch noch wütend, ich sollte mich vor ihm fürchten.”
    Der Hund hat ohnehin Angst vor dem anderen Hund und der Halter stresst ihn zusätzlich. Was passiert beim nächsten Treffen? Der Hund ist noch ängstlicher, da er nicht nur den anderen Hund fürchtet, sondern auch die schlechte Laune des Halters – ein Teufelskreis beginnt.

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Wenn der Hund ein Halsband ohne Stopp trägt, ein Stachelhalsband angelegt bekommt oder der Halter an der Leine ruckt, erfährt der Hund zu seiner Angst auch körperlichen Schmerz oder bekommt keine Luft mehr. Stellen Sie sich vor, Ihnen würde bei jeder Begegnung mit einem anderen Menschen die Luft genommen – dann wissen Sie, wie es Ihrem Hund geht.

Der andere Hund wird somit zum Signal für körperlichen Schmerz, und auch hier gerät der Hund in einen Teufelskreis, bei dem er bei jeder weiteren Begegnung noch ängstlicher wird.

Wie kann ich vermeiden, dass mein Hund zum Leinenrüpel wird?

Der einfachste Weg ist, Ihrem Welpen bereits im jungen Alter beizubringen, dass ihm entgegenkommende Hunde etwas Gutes bringen. Dies nennt man in Fachkreisen Gegenkonditionierung: Andere Hunde werden mit Leckerlis aus der Hand des Halters verknüpft. Oft sind viele Wiederholungen erforderlich, bis der entgegenkommende Hund als Signal für Leckerlis wahrgenommen wird. Bei ausreichendem Training wird sich Ihr Hund Ihnen zuwenden und nach Belohnung verlangen, anstatt den anderen Hund zu beachten. Auch für den entgegenkommenden Hund entspannt sich die Situation, da er nicht mehr bedroht wird. Ein problemloses Vorbeigehen ist nun möglich.

Mein Hund zeigt Leinenaggression – was kann ich tun?

Ignorieren Sie das aggressive Verhalten, kommentieren Sie es nicht und gehen Sie möglichst kommentarlos weiter. Das ist natürlich leichter gesagt als getan!

Am besten vermeiden Sie vorerst jeglichen Kontakt zu anderen Hunden, außer in Trainingssituationen. Hier kommt wieder die Gegenkonditionierung ins Spiel. Der Hund soll andere Hunde mit etwas Angenehmem – zum Beispiel Leckerlis – verknüpfen. Die Schwierigkeit bei einem Hund, der bereits Leinenaggression entwickelt hat, besteht darin, dass er möglicherweise nicht mehr fressen kann, sobald er einen Artgenossen sieht.

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Aus diesem Grund sollte der andere Hund in einer Entfernung präsentiert werden, in der Ihr Hund ihn zwar wahrnimmt, aber noch nicht aggressiv reagiert. Sobald der Hund am Horizont erscheint, bekommt Ihr trainierender Hund Leckerlis, bis der andere Hund wieder verschwindet. Nach und nach kann die Entfernung verringert werden, bis ein direktes Vorbeigehen möglich ist. Dieses Verfahren sollte mit so vielen unterschiedlichen Hunden wie möglich durchgeführt werden, damit nicht nur der Trainingshund als ungefährlich empfunden wird, sondern die positive Verknüpfung allgemein übertragen wird.

Hilfe, ein Hund kommt!

Natürlich kann es passieren, dass wir trotz aller Vorsicht in der Trainingsphase einem anderen Hund begegnen. Für diesen Fall sollten Sie einen Notfallplan haben:

Sie können die Situation mithilfe eines Haltis, eines Kopfgeschirrs für den Hund, absichern. Durch das Halti kann der Hund nicht so stark in Richtung anderer Hunde ziehen und Sie als Halter können entspannter auf solche Situationen reagieren. Allerdings muss sich der Hund zunächst an das Halti gewöhnen, hierzu sollten Sie fachkundige Hilfe suchen.

Wenn Ihr Hund den anderen Hund wahrgenommen hat und noch nicht mit aggressivem Verhalten reagiert, sollten Sie Ihren Hund, solange er noch Futter nehmen kann, am anderen Hund vorbeifüttern.

Wenn Ihr Hund jedoch bereits am Pöbeln ist, sollten Sie souverän und möglichst kommentarlos die Situation verlassen und Ihren Hund dann für ruhiges Verhalten belohnen.

Über die Autorin:
Dr. Katrin Voigt ist Tierärztin mit Zusatzbezeichnung Verhaltenstherapie und betreibt seit 2007 eine verhaltenstherapeutische Praxis. Darüber hinaus ist sie Prüferin für den BHV-Hundeführerschein, Assistenzhund-Team-Prüferin (IHK) und Sachverständige für Wesenstests gemäß der hessischen HundeVO. Im Jahr 2009 gründete sie das Hundezentrum Rhein-Main, das neben einer verhaltenstherapeutischen Praxis auch eine Hundeschule, eine Hundepension und eine Tierphysiotherapie-Praxis umfasst.