Unsere geschätzten Leser haben bestimmt schon einmal die Rubrik “Kennen Sie den noch?” studiert. Dort stellen wir Autos von früher vor, die fast vergessen sind. Doch was ist mit den Modellen, die durchaus noch zahlreich im Straßenverkehr umherfahren? Jene Typen, die jeder kennt, aber auch schon über 20 Jahre auf dem Buckel haben.
Werden sie einmal Oldtimer? Das birgt Zündstoff für kontroverse Diskussionen. Einige dieser Modelle wollen wir in unserer neuen Reihe “Klassiker der Zukunft?” vorstellen.
Pro: Cleveres Design und viel Platz
Die erste Mercedes A-Klasse, intern W 168 genannt, war ein clever durchdachtes Auto. 1997 vorgestellt, war die Normalversion nur 3,57 Meter lang, bot aber extrem viel Gepäckraum: Je nach Position der Fondsitze 390 bis 1.340 Liter, bei ausgebautem Beifahrersitz sogar 1.740 Liter. Ladelänge: bis zu 2,57 Meter! Oder wie es damals der Prospekt ausdrückte: “So komfortabel wie eine Mittelklasse-Limousine und so variabel wie ein Mini-Van.”
Möglich machte es das sogenannte Sandwich-Konzept: Vereinfacht gesagt eine Art doppelter Boden, in den der Motor bei einem Frontalcrash abtauchen konnte. Gleichzeitig sorgte es für eine erhöhte Sitzposition. Was man aber eher verschwieg: Gedacht war das Sandwich-Konzept für Versionen mit Elektroantrieb und Brennstoffzelle, die es aber nie in die Serie schafften.
Überspitzt formuliert fuhr die A-Klasse also bis zum radikalen Konzeptwechsel 2012 mit verschenktem Raum herum. Trotzdem ging es innen opulent und flexibel zu: Allein die Rücksitzbank bot 36 Variationsmöglichkeiten – klappen, falten, herausnehmen.
Noch mehr Platz lieferte die Langversion des W 168, die im Frühjahr 2001 als Vorläufer der B-Klasse das Programm ergänzte. Sie war 20 Zentimeter länger und bot sogar mehr Innenraumlänge als die damalige S-Klasse. Das Raumvolumen stieg im Vergleich zur Normalversion um elf Prozent auf bis zu 1.930 Liter. Die Fondsitzanlage ließ sich außerdem um 111 Millimeter in Längsrichtung verschieben. Hatten wir schon von der fantastischen Rundumsicht geschwärmt?
Zudem pries Mercedes die Sicherheit der A-Klasse an, die sogar in einem Crash mit der damaligen E-Klasse bestehen konnte. Allerdings kam kurz nach dem Marktstart der Elch, doch dazu später mehr. Ein ganz besonderes Highlight war der A 38 AMG, auch als A 190 Twin bekannt. Hier befanden sich vorne und hinten je ein Motor mit zusammen 250 PS Leistung. Vier Stück wurden gebaut, zwei gingen an die damaligen McLaren-Mercedes-Piloten Häkkinen und Coulthard.
Bis 2004 wurden über eine Million Fahrzeuge der ersten A-Klasse in Rastatt gebaut. Fest steht: Selbst gute Exemplare des W 168 aus späten Baujahren sind extrem günstig, teilweise unter 1.000 Euro. Die Versicherungsklassen sind niedrig. Dafür kann die Steuer bei den Dieseln saftig ausfallen. Trotzdem gibt es für wenig Geld einen automobilen Meilenstein.
Contra: Fragwürdiges Design und Schwächen
Automobiler Meilenstein? Hör bloß auf, Hildebrandt! Das Ding ist doch gefühlt so hoch wie lang und schaut einfach grauenhaft aus. Und dann das Image der Rentnerkarre. Dazu bis zum großen Facelift im Frühjahr 2001 fieses Plastik in teilweise noch fieseren Farben innen (Komm mir jetzt nicht mit Zeitgeist!).
Dynamik ist sowieso nicht drin: Hoher Aufbau und ein radikal eingreifendes ESP, seitdem der Elchtest die A-Klasse kippen ließ. (Es lag zum Teil auch an den Reifen, um ehrlich zu sein …) Hinzu kommen maue Motoren: Benziner vom A 140 mit 82 PS bis zum A 190 mit 125 PS. Minimal sportlich ist höchstens der A 210 Evolution ab 2002.
Aus 2,1 Liter Hubraum schöpft der Vierzylindermotor hier 140 PS Leistung mit einem maximalen Drehmoment von 205 Newtonmeter bei 4.000 U/min. Das reicht für Spitzentempo 203 km/h und einen Sprint aus dem Stand auf 100 km/h in 8,2 Sekunden. Oder man nimmt für optische Dynamik die “F1 Edition”.
Von den Dieseln wollen wir gar nicht erst anfangen: Mit 60 PS nagelte der A 160 CDI bis 2001 durchs Land, dann gab es immerhin 75 PS. Maximal 95 PS bot der A 170 CDI. Mängelanfällig sind alle W 168, wie diverse Reporte von TÜV und DEKRA zeigen. Häufig zu finden bei älteren Baujahren sind brechende Fahrwerksfedern, Rost (insbesondere an Türkanten und unter Gummidichtungen) sowie Motorschäden. Und auch das Lamellen-Schiebedach hat seine Tücken.
Fazit: Ein Youngtimer mit Potenzial
Bei kaum einem anderen Youngtimer (Na gut, der Fiat Multipla …) gilt so sehr wie bei der ersten Mercedes A-Klasse: Es kommt auf die inneren Werte an. Sein Äußeres polarisiert extrem, das Image ist festgemeißelt. Wer unbedingt einen 168er aufheben möchte, hat große Auswahl, denn Fans gibt es nicht wirklich. Für eine Handvoll Euro gibt es ein eigentlich geniales Autokonzept. Aber seien Sie darauf gefasst, sich die nächsten Jahre bis zum H-Kennzeichen für Ihre Entscheidung rechtfertigen zu müssen.