Hast du dich jemals gefragt, wie viel Zeit am Anfang einer Vorlesung oder eines Seminars damit verbracht wird, bis endlich Ruhe herrscht und der Unterricht beginnen kann? Ziemlich viel, oder? Früher habe ich mich immer gedulden müssen, bis es mucksmäuschenstill war. Das kann dauern, aber es ist extrem wichtig. Man muss eine Stecknadel fallen hören können. Erst wenn niemand mehr das Holztischchen vor sich herunterklappt, mit dem Mäppchen raschelt, einen Ordner aus dem Rucksack holt oder eine Wasserflasche unter Zischen öffnet, kann man in Ruhe starten. Alle konzentrieren sich auf das, was vorne passiert, und als Dozent muss man nicht schreien.
Ich habe nie verstanden, warum sich andere Dozenten darüber beschweren, dass die Studierenden zu laut sind. Ich bin der festen Überzeugung, dass es die Verantwortung des Dozenten ist, für Ruhe zu sorgen. Wer Ruhe kultiviert, braucht nicht zu schreien. Wer den Lärm ignoriert, hat keine Chance.
Ruhe ist wichtig, damit alle konzentriert bei der Sache sein können. Ruhe zu gewährleisten wird umso schwieriger, je öfter man zwischen Frontalphasen und Arbeitsphasen wechselt. In der Methode “Think – Pair – Share” zum Beispiel beraten sich Studierende zunächst mit ihrem Nachbarn über eine Frage, bevor alle im Plenum diskutieren. In der “Pair”-Phase ist eine gewisse Unruhe erwünscht, aber in der “Share”-Phase sollte es wieder mucksmäuschenstill sein, damit man die Beiträge der Studierenden verstehen kann.
Früher habe ich bei solchen Phasenwechseln immer wieder lange gewartet, bis endlich Ruhe herrschte (kein Klappern, kein Rascheln usw.). Ich musste ständig “Psssscht!” sagen oder zur Ruhe ermahnen. Das ist sehr anstrengend und strapaziert die Nerven aller Anwesenden.
Kürzlich ist mir im Praktikum an einer Grundschule aufgefallen, wie einfach ich doch manchmal gestrickt bin. Es gibt bereits großartige Methoden und Rituale in der Schule für alle möglichen Zwecke. Warum kommen mir diese Rituale nie in den Sinn, wenn es um die Hochschule geht? Insbesondere in den Lehramtsstudiengängen: Warum nutzen wir nicht auch die Methoden, die unsere zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer in der Schule einsetzen werden?
Zu Beginn dieses Semesters habe ich es ausprobiert: den Klangstab. In der ersten Sitzung habe ich mit meinen Studierenden ein Ritual eingeübt: Ich lasse den Klangstab erklingen. Nach drei Sekunden schlage ich ihn erneut an. Beim zweiten Schlag darf niemand mehr etwas tun oder sagen. Alle müssen mucksmäuschenstill sein. Keine Bewegung. Ich habe das einige Male geübt. Und es hat funktioniert: Arbeitsphase (“murmel murmel murmel”). Klangstab. Ruhe. Entspannte Diskussion.
Alternativ funktioniert auch eine sogenannte Pädagogenglocke oder Rezeptionsklingel, die wir einmal beim Hörsaalspiel “Ring the Bell!” eingesetzt haben. Alles in allem kann man sagen: Große Investitionen sind nicht notwendig.
Durch dieses einfache Ritual wird mühsames Ermahnen und lautes “Bitte seid jetzt ruhig!” vollständig überflüssig. Der Klang hat genug Signalwirkung. Ich konnte relativ schnell auf den zweiten Schlag nach drei Sekunden verzichten. Der erste Ton reichte aus, und alle waren sofort ruhig. Mittlerweile kann ich sogar ganz auf den Klangstab verzichten, weil ein einfaches “Jetzt tragen wir alle Erkenntnisse zusammen.” genügt, um alle mucksmäuschenstill zu machen. Verblüffend.
Als ich die Idee weitererzählt habe, gab es einige erste Reaktionen: “Das ist ja Konditionierung!” Auch ich habe mich zunächst gefragt, ob dieses Ritual in der Hochschullehre angemessen ist und ob es nicht als “Dressur” betrachtet wird. Aber: Es ist ein wirklich effektives Verfahren, um schnelle Phasenwechsel zu ermöglichen, und man gewinnt wertvolle Lern- und Diskussionszeit. Und ganz wichtig: Man schont die Nerven.
Wie siehst du das?