Ein Mann, ein Wort – eine Frau, ein Wörterbuch. Mythos oder Realität?

Ein Mann, ein Wort – eine Frau, ein Wörterbuch. Mythos oder Realität?

Es ist immer dasselbe: Beim gemütlichen Frühstück redet sie wie ein Wasserfall und hört gar nicht mehr auf. Er sitzt schweigend da, nickt hin und wieder und lässt ab und zu ein “hm”, “nö” oder sogar ein “ja, Schatz” von sich hören. Es ist klar – wenn es darum geht, möglichst viele Wörter in einer Minute zu sagen, haben Frauen die Nase vorn, oder nicht?

Das Klischee von redseligen Frauen und wortkargen Männern ist so bekannt wie kaum ein anderes und wurde in den Medien ausgiebig behandelt. Allerdings wurde das Phänomen der weiblichen Redseligkeit bisher nicht wissenschaftlich untersucht. Umso erstaunlicher ist die Behauptung einer Gruppe von Wissenschaftlern um Matthias Mehl, dass Frauen und Männer tatsächlich gleich viel reden. Wer hat also Recht?

Der Mythos der Wörterzahl

Bisher ging man davon aus, dass Frauen etwa 20.000 Wörter am Tag sprechen, während Männer sich mit stolzen 7.000 Wörtern begnügen. Diese Zahlen stammen ursprünglich von der Neuropsychiaterin Brizendine und haben sich in unserem kulturellen Gedächtnis festgesetzt. Mehl und sein Team haben diesen Mythos nun mit einer neuen Methode untersucht: einem elektronisch aktivierten Spezialrekorder, der unbemerkt jedes gesprochene Wort aufzeichnet und speichert.

Das überraschende Ergebnis

An der Studie nahmen fast 400 Studenten im Alter von 17 bis 29 Jahren aus den USA und Mexiko teil. Der Rekorder wurde mehrere Tage lang in den Morgenstunden getragen und schaltete sich alle zwölfeinhalb Minuten für 30 Sekunden ein, um jedes gesprochene Wort zu registrieren. Mit den aufgenommenen Daten konnte die Anzahl der gesprochenen Wörter hochgerechnet werden. Dabei kamen Frauen auf durchschnittlich 16.215 Wörter pro Tag, während Männer mit 15.669 Wörtern täglich nicht wesentlich weniger sprachen. Der Unterschied ist also deutlich geringer als die angenommenen 20.000:7.000.

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Laut Mehl und seinem Team ist der gefunden Unterschied nicht statistisch signifikant. Eine Differenz von rund 550 Wörtern kann Frauen kaum als “Sprechsiegerinnen” bestätigen. Beide Geschlechter bewegen sich durchschnittlich bei 16.000 Wörtern pro Tag, mit großen individuellen Unterschieden. Die gefundene Differenz zwischen den Geschlechtern scheint also kaum bedeutsam zu sein. Ist also alles nur ein großer Mythos?

Mehr als nur Wörter

Obwohl Mehl und seine Kollegen in ihrer Studie nur Studenten aus zwei Ländern untersucht haben, interpretieren sie die Ergebnisse als Enttäuschung für die Anhänger dieses Stereotyps. Wenn die Unterschiede in der täglichen Wortmenge zwischen Männern und Frauen wirklich biologisch bedingt wären, müssten sie sich in jeder beliebigen Gruppe zeigen – unabhängig von deren Zusammensetzung. Vielleicht müssen sich die zahlreichen Talkshows und Frauenzeitschriften also von nun an umorientieren und Männern nicht länger die Ausrede bieten, dass sie von Natur aus weniger sprechen als Frauen. Vielleicht liegt der Unterschied ja an den Themen, über die Männer und Frauen sprechen, die der Rekorder nicht erfasst hat!

Quelle: Mehl, Vazire, Ramírez-Esparza, Slatcher & Pennebaker (2007). Are Women Really More Talkative Than Men? Science 317 (5834), 82.