Die Zeit – ein Konzept, das die Physik bis heute erfolgreich nutzt, von der Elementarteilchenforschung bis zur Kosmologie. Doch trotz des Erfolgs des Einstein-Minkowski-Weltbildes bleibt der Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft unerklärt. Die Naturgesetze bieten keinen Hinweis darauf, ob sich Ereignisse “vorwärts” oder “rückwärts” abspielen könnten.
Warum erinnern wir uns also nur an die Vergangenheit und nicht an die Zukunft?
Unser Alltag bietet uns ständig Beispiele für die “Richtung der Zeit”. Stellen wir uns vor, eine Tasse fällt vom Tisch und zerbricht. Anhand einer Filmaufzeichnung könnten wir sofort erkennen, ob sie vorwärts oder rückwärts abgespielt wird. Im wirklichen Leben sehen wir jedoch keine Tassen, die sich von selbst zusammenfügen und auf den Tisch zurückspringen.
Die Physiker nennen diese Erfahrung den “Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik”: Die Unordnung (Entropie) nimmt mit der Zeit zu. Eine intakte Tasse auf dem Tisch (ein ordentlicher Zustand) kann auf den Boden fallen und zerbrechen (ein unordentlicher Zustand), aber nicht umgekehrt.
Dieser physikalische Grundsatz basiert auf der Tatsache, dass es weit mehr unordentliche Zustände als ordentliche gibt. Es gibt nur einen Zustand, in dem die Tasse intakt ist, aber tausend verschiedene Arten, wie sie zerbrechen kann. Die Wahrscheinlichkeit, einen unordentlichen Zustand anzunehmen, ist daher viel größer als die Wahrscheinlichkeit, in einem ordentlichen Zustand zu verbleiben.
Dieser unausweichliche Anstieg der Unordnung definiert einen “Zeitpfeil” für die Forscher.
Neben diesem thermodynamischen Zeitpfeil sprechen die Wissenschaftler von mindestens zwei weiteren: dem psychologischen Zeitpfeil – die Richtung, in der wir die Zeit fließen spüren und uns an die Vergangenheit erinnern, aber nicht an die Zukunft – und dem kosmologischen Zeitpfeil – die Richtung, in der sich das Universum ausdehnt.
Alle drei Zeitpfeile deuten in die “Zukunft”. Aber warum ist das so? Der britische Kosmologe Stephen Hawking, einer der bedeutendsten Wissenschaftler unserer Zeit, vermutet: “Unser subjektives Gefühl für die Richtung der Zeit wird durch den thermodynamischen Zeitpfeil bestimmt.” Aus diesem Grund erscheint der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik als eine Selbstverständlichkeit. “Die Unordnung nimmt mit der Zeit zu, weil wir die Zeit in der Richtung messen, in der die Unordnung zunimmt.”
Aber warum sollte die Unordnung ausgerechnet in der Richtung der Zeit zunehmen, in der sich das Universum ebenfalls ausdehnt?
Hawking meint: Entweder hat Gott die Welt so geschaffen, dass sie einem Zustand großer Ordnung entspricht, dann bräuchten wir nicht weiter nach Erklärungen zu suchen, denn die Schöpfung wäre Gottes Werk.
Oder wir suchen eine naturwissenschaftliche Erklärung. Diese geht von den möglichen Zukunftsszenarien des Kosmos aus: Entweder dehnt sich das Universum immer weiter aus – in eine unendliche Zukunft – oder die Expansion kehrt sich eines Tages um und geht in eine Phase des Zusammenziehens über. Laut Hawkings Berechnungen würde sich in dieser Phase der kosmologische Zeitpfeil zwar umkehren, aber die thermodynamische Richtung der Zeit (die unser Leben bestimmt) würde dennoch weiterhin die Unordnung im Universum bis zu ihrem größtmöglichen Wert erhöhen: die “ideale Unordnung”. Wenn die Welt jedoch den Zustand maximaler Unordnung erreicht hat, existiert kein thermodynamischer Zeitpfeil mehr.
Daher ist Hawking überraschenderweise darauf angewiesen, dass das Leben existiert, um ein kosmisches Phänomen erklären zu können. “Ein zusammenziehender Kosmos lässt keine Intelligenzen zu, die die Frage stellen könnten: Warum nimmt die Unordnung in derselben Richtung zu, in der sich das Universum ausdehnt?”
Die Vorstellung, dass ein schrumpfendes Universum intelligentes Leben beherbergen könnte, wie wir es kennen, führt zu einem unlösbaren Widerspruch: Menschen nehmen geordnete Energie in Form von Nahrung auf und wandeln sie in ungeordnete Energie (Wärme) um – dies widerspricht jedoch der Annahme eines schrumpfenden Kosmos, der bereits den Zustand größtmöglicher Unordnung erreicht hat.
“Daher kann”, folgert Stephen Hawking, “intelligentes Leben in einem schrumpfenden Kosmos nicht existieren. Dies erklärt, warum der thermodynamische und der kosmologische Zeitpfeil in die gleiche Richtung weisen.”