Eiscreme-Erinnerungen: Welche Sorte ist deine?

Eiscreme-Erinnerungen: Welche Sorte ist deine?

Erdbeer-Mascarpone, Waldbeer-Kumquat, Minze-Tonka-Vanille? Wer heute Eis essen geht, hat die Qual der Wahl zwischen handgefertigten Sorten, die sich mit ausgefallensten Aromen überbieten. Doch hinterlassen all diese hochindividuellen Geschmacksrichtungen einen bleibenden Eindruck, der im Verhältnis zum oft astronomischen Preis steht?

Viel tiefer im Gedächtnis haften die standardisierten Industrie-Eissorten, für die wir in der Kindheit das erste Taschengeld ausgegeben haben! Die tiefblauen Langnese- und Schöller-Übersichtstafeln, die an jedem Freibadkiosk im Fenster hingen, prägten das Lebensgefühl endloser Sommer – und hinterließen Spuren im kollektiven Unbewussten unterschiedlichster Generationen, von den Boomern bis zur Gen Z.

So wie Marcel Proust in “Auf der Suche nach der verlorenen Zeit” eine Kindheitswelt aus dem Geschmack eines in den Tee getunkten Madeleine-Gebäcks rekonstruiert, so kennt jeder eine klassische Eissorte, welche die Erinnerung explodieren lässt, sobald man nur an sie denkt. Eine sehr persönliche Sammlung.

Cuja-Mara-Split

Die Welt des Eises zerfällt in zwei Hemisphären, die einander fremd, ja sogar feindlich gegenüberstehen. Auf der einen Seite das Milcheis: eiweißreich, nahrhaft und eher organisch. Auf der anderen das Wassereis: kühl, zuckrig und eher chemisch. Hier: Trägheit und Befriedigung, dort: Erfrischung und Aufregung. Es gab Milcheismenschen und Wassereismenschen – und es gab solche, die sich nicht entscheiden konnten oder wollten. Für diese Splittergruppe war Cuja-Mara-Split das perfekte Eis: außen eine Schicht aus Maracuja-Wassereis, die in synthetischem Orange leuchtete und an der die Zunge beim ersten Kontakt mit einer pelzigen Empfindung festklebte – dann aber in der Sonne sofort zu dicken, klebrigen Tropfen zerfloss, um darunter einen Kern aus sahnigem Vanille-Milcheis freizulegen, das im Mund bereitwillig mit dem fremden Element verschmolz. Ein Erlebnis gelungener Alchimie, das die Spaltungen der Welt in sich aufhob – und einem für ein paar hochsommerliche Minuten die Illusion vermittelte, dass man immer, wenn man die Wahl hat, einfach beides bekommen kann. Andreas Rosenfelder

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Tigerschwanz

Wer Mitte der 80er-Jahre in bohemistischen Bürgerverhältnissen fünf Jahre alt war, dem versprach das Tigerschwanz-Eis die doppelte Exotik: das nie gesehene Dschungeltier in Gestalt eines schwarzbraun-orangefarben gestreiften Stücks Kälte. Hinter dem Orange ließ sich vage der Geschmack von Fanta erahnen, im Schwarzbraun, wie im Dunkel eines Gebüschs, wartete die ansonsten verbotene Cola. Mara Delius

Dolomiti

Zwischen Capri, der Stileis gewordenen Italiensehnsucht der 50er-Jahre, und Dolomiti, seinem legitimen Nachfolger, liegt eine Kulturrevolution, die auch im grellen Design der 70er-Jahre ihren Ausdruck fand. Das Dolomiti, 1973 aus der Taufe gehoben, ist die Wassereis-Entsprechung des Panton Chair: maximal künstlich, maximal bunt und in der Formensprache so exzentrisch, wie es nur die Dekade der Schlaghose und psychedelischen Tapete sein konnte. Ein Dolomiti zu schlecken war, dazu passend, ein lebensmittelchemischer Trip: vom noch vage naturgemäßen Zitronengeschmack der Gipfel über ein Himbeererlebnis, das keiner real existierenden Beere entsprach, bis zum Waldmeister, in das man, weil es schon tropfte, schließlich biss und das geschmacklich nur aus dem Replikator des Raumschiffs “Enterprise” stammen konnte.

1987 allerdings war es damit so vorbei wie mit der Kulturrevolution, weshalb die Geschichte der Dolomiti-Nostalgie heute länger als die Dolomiti-Story ist. Alle Revivals schlugen fehl: Erdbeer statt Himbeer in der Mittelschicht war der erste Fehler, und Waldmeister durch Stachelbeer zu ersetzen muss die langneseste aller Sünden sein. Sollten Sie also auf ein selten gewordenes Dolomiti stoßen: Das beste Eis aller Zeiten bleibt eines der Erinnerung. Wieland Freund