Die meisten Menschen im türkisch-syrischen Grenzgebiet schliefen friedlich, als die Welt um sie herum zu zittern begann. In der Nacht von Sonntag auf Montag wurde die Region rund um die Stadt Gaziantep von einem starken Erdbeben mit einer Stärke von 7,7 erschüttert. Am Mittag folgte ein weiteres Beben mit einer Stärke von 7,6 auf der Richterskala.
Was machte das Erdbeben so verheerend?
Während die Rettungsaktionen noch im Gange sind, wird die türkische Regierung für den Mangel an effektiven Frühwarnsystemen und die Nichteinhaltung von Bauvorschriften für erdbebensichere Häuser kritisiert. Es wird sogar behauptet, dass einige Gebäude wie Kartenhäuser in sich zusammengefallen sind, während andere unversehrt blieben.
Doch nicht nur das mögliche Versagen der Menschen macht die Folgen des Erdbebens so verheerend, sondern vor allem die urgewaltige Naturgewalt. Die Menge an Energie, die bei diesem Erdbeben freigesetzt wurde, war gigantisch. Die Geologin Joanna Faure Walker vom Institute for Risk and Disaster Redcution in London schätzt, dass sie 250-mal größer war als die Menge, die beim großen Beben in Amatrice, Italien, im Jahr 2016 freigesetzt wurde, bei dem über 300 Menschen ums Leben kamen.
Ein weiterer Faktor ist die geringe Tiefe des Bebens, die weniger als 20 Kilometer beträgt. Aufgrund dieser geringen Tiefe waren die Erschütterungen an der Erdoberfläche stärker als bei einem tieferen Erdbeben der gleichen Stärke an der Quelle, erklärt David Rothery, Professor für planetare Geowissenschaften in Großbritannien.
Die Türkei liegt in einer tektonischen Hochrisikozone
Der Ursprung dieser zerstörerischen Kräfte liegt in den gegenläufigen Bewegungen verschiedener Erdplatten. Die Afrikanische Platte driftet seit Jahrmillionen Richtung Norden und kollidiert dabei mit der Eurasischen Platte. Diese Großbewegung schafft eine tektonische Hochrisikozone, in der kleinere Plattenfragmente aneinanderreiben.
Besonders im Südosten der Türkei wandert die Arabische Platte besonders schnell nach Norden und drückt die Anatolische Platte, die zwischen der Afrikanischen und der Eurasischen Platte liegt, nach Westen. Die Bewegung der Anatolischen Platte erzeugt große Bruchzonen an den Plattengrenzen, die als Nordanatolische und Ostanatolische Verwerfung bekannt sind.
Während sich die Gesteinsmassen an den Nahtstellen der Platten vorübergehend festhalten und die Bewegung zum Stillstand kommt, setzen die Hauptmassen ihre Wanderung fort. Dadurch baut sich allmählich Spannung in den verhakten Bruchzonen auf. Wenn diese Spannung zu groß wird, lösen sich die Gesteine mit einem Ruck und es kommt zu einem Erdbeben. Je länger die Erdplatten zusammengehalten werden, desto mehr Spannung baut sich auf und desto heftiger ist der Ruck, wenn sich die Platten schließlich lösen.
In der Nacht von Sonntag auf Montag lösten sich die Gesteinbrocken und rissen eine mindestens 180 Kilometer lange Verwerfung auf. Mit einer Stärke von 7,7 ist es das stärkste je dokumentierte Beben in der türkisch-syrischen Grenzregion.
Es ist wichtig zu beachten, dass die Türkei in einer tektonischen Hochrisikozone liegt und seit 1999 bereits fünf schwere Erdbeben erlebt hat. Das schwerste Erdbeben ereignete sich im Jahr 1999 in Izmit, bei dem mindestens 17.000 Menschen in der Stadt am Marmarameer ums Leben kamen.
Auch die Metropole Istanbul, die etwa einhundert Kilometer entfernt liegt, ist einem Erdbeben mit einer Magnitude von bis zu 7,4 ausgesetzt. Marco Bohnhoff vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam betont, dass sich die Situation für Istanbul durch die Beben im Südosten nicht verändert hat, jedoch das generelle Risiko ähnlich hoch ist wie in der betroffenen Region. Die mittlere Wiederkehrperiode für ein großes Beben in Istanbul beträgt 250 Jahre, und das letzte ereignete sich im Jahr 1766.
Unsere Gedanken sind bei den Menschen, die von diesem verheerenden Erdbeben betroffen sind, und wir hoffen, dass die Rettungsaktionen schnell und erfolgreich sind.