Kennen Sie das auch, liebe Eltern? Zeiten, in denen Sie Ihr Kind als äußerst anstrengend und herausfordernd empfinden? Doch wie lange kann eine solche Phase dauern? Und wie merkt man, ob es sich um ein grundsätzliches Problem handelt?
Es ist völlig normal, dass es mal hakt und man keinen Zugang zum Kind findet. Doch problematisch wird es, wenn dieser Zustand über mehrere Wochen anhält und sich nichts verändert. Wenn die Familienatmosphäre nur noch von Kampf und Streit geprägt ist und keine schönen Momente mehr möglich sind. Wenn der Alltag von einem Machtkampf in den nächsten übergeht und man weder eine liebevolle Kuschelzeit noch einen entspannten Tagesausflug genießen kann – dann besteht dringender Handlungsbedarf.
Machtkämpfe sind ein Teufelskreis
Im Buch wird von einem Teufelskreis gesprochen. Was verbirgt sich dahinter?
Es handelt sich um eine Abwärtsspirale. Das Kind reagiert anders, als man es sich wünscht. Daraufhin setzen wir als Eltern eine Grenze, oft begleitet von unangenehmen Gefühlen. Das Kind protestiert, denn kein Kind mag es, Grenzen gesetzt zu bekommen. Diese Reaktion des Kindes führt wiederum zu unserer eigenen genervten Reaktion als Mutter oder Vater. Ein Machtkampf entsteht. Wenn dieser Kreislauf immer weitergeht, verstärken sich die Emotionen auf beiden Seiten. Das Kind hat das Gefühl, es kann seinen Eltern nie gerecht werden.
Diesen Teufelskreis habe ich auch mit meinem Sohn erlebt. In schwierigen Momenten dachte ich, wenn ich jetzt nur klare Grenzen setze und ihm sage, wie es läuft, wird er es schon verstehen. Aber stattdessen fühlte er sich noch mehr missverstanden. Enge Grenzen lassen uns keine Luft zum Atmen. Die Kinder signalisieren dann: Ich bin unzufrieden, ich fühle mich nicht gesehen, ich fühle mich nicht angenommen, ich darf nicht sein, wie ich bin. Und darauf reagieren sie mit Rückzug oder Rebellion.
Konflikte und Liebe schließen sich nicht aus
Welche Schritte sind nötig, um aus diesem Teufelskreis auszubrechen?
Der entscheidende Punkt ist, dass Eltern die Verantwortung übernehmen und ihr Kind bedingungslos annehmen, so wie es ist. Mein Kind darf mit all seinen herausfordernden Besonderheiten und Charaktereigenschaften sein. Ich selbst konnte diesen Teufelskreis durchbrechen, indem ich bewusst entschied, dass meine Liebe nicht von seinem Verhalten abhängig sein sollte. Auch wenn es Konflikte gab, setzte ich Grenzen, jedoch nicht im Machtkampf-Modus.
Es gab Momente, in denen ich zu meinem Sohn sagte: “Auch wenn wir unterschiedlicher Meinung sind, bist du trotzdem mein Kind. Ich habe dich lieb und wir finden einen Weg.” Mir war wichtig, dass er sicher sein konnte, dass ich ihn trotz Ärger liebe. Das hat langfristig etwas verändert. Wir haben es geschafft, wieder eine warmherzige Beziehungsebene aufzubauen.
Liebe ist eine Entscheidung
Was kann ich tun, wenn es mir schwerfällt, mein Kind zu lieben, weil es mich nervt oder wütend macht? Schließlich kann man Gefühle nicht “machen”.
Es stimmt, Gefühle kann man nicht erzwingen, aber Liebe ist zuerst eine Entscheidung. Wenn es am Anfang schwerfällt, empfehle ich, mit jemandem darüber zu sprechen, der unterstützt und seelsorgerlich begleitet. Ich bin überzeugt, dass die Gefühle folgen werden. Das ist ein Prozess. Und wenn sich etwas verändert, kommen auch die Momente, in denen man wieder Liebe empfinden kann. Wenn das nicht funktioniert, muss man genauer hinsehen. In meinem Buch beschreibe ich einige Blockaden oder Hindernisse.
Wenn man keinen Zugang zu den eigenen Gefühlen findet, kann dies an Erfahrungen aus der eigenen Kindheit liegen. Wenn man als Kind eine unsichere Bindung hatte, wird es schwer sein, eine sichere Bindung zum eigenen Kind aufzubauen. Negative Glaubenssätze können ebenfalls eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung verhindern. Wenn die bewusste Entscheidung, das Kind anzunehmen, keine Fortschritte bringt, ist es wichtig, mit Hilfe von Seelsorge oder Beratung den Ursachen auf den Grund zu gehen.
Sie haben gerade beschrieben, dass Sie Ihrem Sohn einerseits Grenzen gesetzt, ihm aber auch vermittelt haben, dass Sie ihn lieben. Ich glaube, dass viele Eltern damit Schwierigkeiten haben, zwischen Schimpfen und Kuscheln den richtigen Weg zu finden.
Ich finde, man kann auch mal schimpfen. Man kann auch mal sauer sein. Die Kinder können ruhig mitbekommen, dass man sich ärgert. Aber dieser Ärger muss aufgelöst werden, man darf nicht darin stecken bleiben. Es geht um Vertrauen und die Vermittlung, dass man es gut meint, auch wenn das Kind nicht immer alles versteht, was man tut. Wichtig ist, dass das Kind spürt: Du bist mir wichtig.
Was hat Ihnen geholfen?
Gab es in Ihrer Beziehung zu Ihrem Sohn etwas, das Ihnen wirklich geholfen hat?
Ja, es gab einen entscheidenden Moment während eines Seminars der Beratungsorganisation Team.F, an dem ich vor vielen Jahren teilnahm. Eine Mitarbeiterin erzählte von ihrer angespannten Mutter-Tochter-Beziehung und wie sie eine gute Beziehung aufbaute. Das berührte mein Herz tief und ich traf die wichtige Entscheidung: Ich nehme mein Kind bedingungslos an.
Als Christin hat mir in den folgenden Jahren auch ein Bild immer wieder geholfen: Gott liebt mich bedingungslos, obwohl ich Fehler mache und manchmal Wege wähle, die ihm nicht gefallen. Ich glaube, dass Gottes Herz dennoch immer für mich offen ist. Dieses Bild hat mich immer wieder motiviert. So wie Gott uns Menschen liebt, möchte auch ich als Mama meinem Kind begegnen. Für mich ist das das perfekte Vorbild für Elternschaft.
Dieser Artikel wurde verfasst von Bettina Wendland.