Gutachten spielen eine wichtige Rolle in juristischen Prozessen. Sie dienen als fundierte Darstellung von Erfahrungssätzen und Schlussfolgerungen, die einen Sachverhalt objektiv beurteilen. Dabei ersetzen sie die fehlende Fachkenntnis des Gerichts und ermöglichen eine unabhängige Beweiswürdigung. Die Gutachtenerstellung erfordert hohe Qualitätsansprüche, unabhängig von der Art des Gutachtens.
Hier finden sich schon fließende Übergänge zum Befundbericht
Ein Befundbericht gibt lediglich Auskunft über die erhobenen Befunde eines Patienten. Dabei kann es sich um ärztliche Untersuchungen, laborchemische Ergebnisse oder bildgebende Diagnostik handeln. In der Regel enthalten Atteste und Befundberichte keine ausführlichen Bewertungen oder differenzialdiagnostische Betrachtungen. Sie werden in der Regel vom behandelnden Arzt ausgestellt und sind Teil des Arzt-Patienten-Vertrags.
Formulargutachten hingegen werden häufig von Versicherungen und Versorgungsämtern angefordert. Sie enthalten vorgegebene Fragen, die kurz und präzise beantwortet werden sollen. Obwohl sie weniger umfangreich sind, erfordern sie dennoch gründliches Nachdenken und Vorsicht bei der Beantwortung der Fragen. Missverständnisse und falsche Auslegungen sind hier keine Seltenheit. Oftmals hängt von den Gutachten eine Zahlung oder ein Versäumnis ab, wodurch mögliche Rechtsstreitigkeiten vorprogrammiert werden können. Daher ist bei allen Äußerungen die gebotene Sorgfalt zu beachten. Das Ausstellen von Gefälligkeitsattesten oder falschen Attesten ist gemäß § 278 StGB strafbar. Ein behandelnder Arzt sollte sich bewusst sein, dass das Prinzip “Im Zweifel für meinen Patienten” bei gutachtlichen Äußerungen nicht angewandt werden darf.
Was ist unter einem Gutachten zu verstehen?
Im Prozessrecht bezeichnet ein Gutachten die fundierte Darstellung von Erfahrungssätzen und Schlussfolgerungen durch einen Sachverständigen. Es dient zur tatsächlichen Beurteilung eines Sachverhaltes auf Basis des Sachverständigenbeweises. Ein Gutachten kann auch Tatsachen feststellen, wenn dazu besondere Sachkunde erforderlich ist. Es ermöglicht dem Gericht eine freie Beweiswürdigung und ersetzt die fehlende Sachkunde. Im Zivilprozess wird ein Gutachten, das von einer Partei in Auftrag gegeben wurde, als Privatgutachten bzw. Parteiengutachten betrachtet und kann vom Gericht nur als Urkunde gewürdigt werden. Ein Gutachten muss über die einfache Darstellung von Befunden hinausgehen, Tatsachen mit besonderer Sachkunde beurteilen und Schlussfolgerungen ziehen. Es müssen auch nahe liegende Möglichkeiten berücksichtigt und dargestellt werden. Ein Gutachten sollte unabhängig sein und nicht im Interesse des Auftraggebers erstellt werden.
Es gibt unterschiedliche Arten von Gutachten, wie das Aktengutachten, das Fachgutachten und das freie, wissenschaftlich begründete Gutachten. Ein Aktengutachten basiert auf den in den Akten enthaltenen Feststellungen und Tatsachen und erfordert keine eigenen Untersuchungen am Patienten. Es wird beispielsweise verwendet, wenn der Patient verstorben ist oder bereits umfassende Gutachten vorliegen. Die Gutachtenerstellung erfordert hohe Qualitätsansprüche, unabhängig von der Gutachtenbezeichnung. Eine verwirrende Vielfalt an Bezeichnungen sollte vermieden werden.
Im juristischen Sprachgebrauch wird der Begriff “Obergutachten” verwendet, jedoch ist eine genaue Definition dieses Begriffs nicht vorhanden. Das Gericht kann jedoch jederzeit ein neues Gutachten durch einen anderen Sachverständigen in Auftrag geben, wenn das ursprüngliche Gutachten als unzureichend angesehen wird oder der Gutachter erfolgreich abgelehnt wurde. Ein Obergutachten kann erstellt werden, wenn bereits zwei unterschiedliche Gutachten vorliegen, die möglicherweise Mängel aufweisen oder zu unterschiedlichen Feststellungen kommen. In der Praxis wird das dritte Gutachten als Obergutachten betrachtet. Diese Entscheidung liegt in der Regel bei den Instanzgerichten.
Quelle: Ekkernkamp/Peters/Wich (Hrsg.): Kompendium der medizinischen Begutachtung – digital. Spitta Verlag Balingen 2013