Hat Russland auch „Appetit“ auf Weißrussland?

Hat Russland auch „Appetit“ auf Weißrussland?

Die neuesten Informationen über Russlands Interesse an Weißrussland sorgen für Aufsehen. Ein angebliches Strategiepapier des Kremls, das im Sommer 2021 veröffentlicht wurde, besagt, dass Belarus bis 2030 in einen “Unionsstaat” eingegliedert werden soll. Deutsche Medien wie der WDR, NDR und die Süddeutsche Zeitung haben Zugang zu diesem Dokument erhalten. Die Veröffentlichung erfolgte in Zusammenarbeit mit einem internationalen Rechercheteam, das auch Vertreter aus Estland, Russland (im britischen Exil), Schweden, der Ukraine, den USA, den Visegrád-Staaten und Weißrussland (im tschechischen Exil) umfasst.

Das besagte Strategiepapier stammt angeblich aus der Abteilung “Direktion Grenzübergreifende Zusammenarbeit” des russischen Präsidentenamtes. Diese Abteilung entwickelt Konzepte, wie Russland seinen Einfluss und die Kontrolle über die Nachbarländer kontinuierlich ausbauen kann. Zu diesen Ländern zählen das Baltikum, die Ukraine und auch Belarus. Westliche Geheimdienste haben das interne Dokument als authentisch und plausibel eingestuft, obwohl die genauen Quellen unbekannt sind.

Das Strategiepapier beschreibt detailliert, wie Russland seinen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Einfluss auf Belarus schrittweise ausbauen könnte. Ziel ist es, das Land zu einer Festung gegen die NATO zu machen, da es direkt an die NATO-Staaten Lettland, Litauen und Polen angrenzt und nur durch die sogenannte Suwalki-Lücke von der russischen Exklave Kaliningrad getrennt ist.

Bereits jetzt ist die politische und wirtschaftliche Abhängigkeit von Belarus von Russland enorm. Seit dem Ukrainekrieg befinden sich angeblich bereits zwischen 10.000 und 11.000 russische Soldaten auf weißrussischem Staatsgebiet.

Hintergrund

Die Russische, Ukrainische und Weißrussische Sowjetrepublik waren die slawischen Kernstaaten der UdSSR, die im Jahr 1922 gegründet wurde. Im Jahr 1991 schlossen sich die unabhängig gewordenen ehemaligen Sowjetrepubliken Russland, Ukraine und Weißrussland zur Regionalorganisation “Gemeinschaft Unabhängiger Staaten” (GUS) zusammen. Später traten weitere ehemalige Sowjetrepubliken bei.

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Die offensichtlich manipulierten Präsidentschaftswahlen in Belarus im August 2020 führten dazu, dass Amtsinhaber Alexander Lukaschenko offiziell mit 80,08 Prozent wiedergewählt wurde. Dies führte zu wochenlangen Protesten im gesamten Land, da viele Menschen die angebliche Wiederwahl anzweifelten. Letztendlich konnte Lukaschenko nur mit Hilfe aus Moskau an der Macht bleiben.

Am 20. Juli 2021 wurde auf der Website der russischen Regierung unter Putins Namen ein Artikel mit dem Titel “Über die historische Einheit von Russen und Ukrainern” veröffentlicht. Darin wird von einer “einzelnen großen Nation, einer dreieinigen Nation” gesprochen. Es spielt keine Rolle, ob sich die Menschen selbst als Russen, Ukrainer oder Weißrussen betrachten, denn sie sind alle Nachkommen des antiken Rus, so Putin.

Belarus ist strukturell das schwächste Glied in dieser “Dreieinigkeit”. Vor dem Krieg hatte das Land nur etwa ein Viertel der Bevölkerung der Ukraine und machte nur ein Drittel des ukrainischen Staatsgebiets aus. Auch die Streitkräfte von Belarus waren der ukrainischen Armee mit nur 45.350 Soldaten bei damals 209.000 Soldaten deutlich unterlegen.

Gleichzeitig destabilisiert Russland auch immer mehr Moldawien. In der Hauptstadt Chișinău gibt es seit Tagen teils offen pro-russische Proteste. Das östliche Staatsgebiet Transnistrien ist ohnehin seit 1992 von russischen Truppen besetzt.

Die aktuellen Entwicklungen werfen die Frage auf, ob Russland nicht nur in Weißrussland, sondern auch in anderen Nachbarländern seine Interessen verfolgt.

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Gerd Portugall