Der Internationale Gerichtshof hat angeordnet, dass Russland den Krieg in der Ukraine stoppen muss. Aber was bedeutet das genau? Und was ist der Unterschied zum Internationalen Strafgerichtshof, der auch ermittelt?
IGH und IStGH – was ist der Unterschied?
Den Haag ist vielen als Stadt des internationalen Rechts ein Begriff. Doch weniger bekannt ist, dass es dort gleich zwei internationale Gerichte mit unterschiedlichen Aufgaben gibt.
Der Internationale Gerichtshof (IGH) ist ein Gericht der Vereinten Nationen und hat bereits eine Eilentscheidung zum Krieg in der Ukraine getroffen. Hier werden nicht einzelne Personen verklagt oder angeklagt, sondern ein Staat verklagt den anderen Staat wegen möglicher Verstöße gegen das Völkerrecht. Die Ukraine verklagt also Russland, da Völkerrecht vor allem die Regeln definiert, die das Verhältnis der Staaten untereinander regeln.
Unabhängig davon gibt es seit 2002 den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH), der nicht zu den Vereinten Nationen gehört. Seine Zuständigkeit erstreckt sich auf die Anklage einzelner Personen, angefangen bei Soldaten bis hin zum obersten Befehlshaber, wegen Straftaten wie Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Aggression und Völkermord.
Was hat der IGH zum Krieg in der Ukraine entschieden?
Eine der wesentlichen Anordnungen besagt, dass Russland die militärischen Einsätze unterbrechen muss. Der Gerichtshof hat vorläufige Maßnahmen erlassen, während eine endgültige Entscheidung noch aussteht. Der Streit dreht sich um die Völkermord-Konvention von 1948.
Russlands Präsident Wladimir Putin hatte den Krieg öffentlich damit gerechtfertigt, dass in der Ost-Ukraine ein Völkermord stattfindet. Die Ukraine bat daraufhin den IGH in Den Haag um Klarstellung, dass dem nicht so ist. Derzeit liegen dem Gerichtshof jedoch keine “substantiierten” Belege für einen Völkermord in der Ukraine vor.
Welche Folgen hat das Urteil?
Direkte Folgen hat das Urteil keine. Es wird keine russischen Panzer stoppen, da der Gerichtshof keine eigenen Mittel hat, um seine Entscheidungen durchzusetzen.
Die Wirksamkeit von Völkerrecht hängt oft von der Akzeptanz der Staaten ab. Im Prinzip ist der UN-Sicherheitsrat dafür zuständig, Urteilen des IGH Wirksamkeit zu verleihen, aber Russland hat dort ein Vetorecht.
Warum geht von der Entscheidung trotzdem eine Signalwirkung aus?
Die Entscheidung des Gerichtshofs der Vereinten Nationen bringt zumindest Putins zentrale Rechtfertigung für den Kriegsbeginn in der Ostukraine – dass dort ein Völkermord stattfindet – massiv ins Wanken. Schon die rechtlichen Einschätzungen aus Den Haag sind ein wichtiges Signal.
Interessant ist, dass Russland nicht an der Verhandlung in Den Haag am 7. März teilgenommen hat, jedoch eine schriftliche Stellungnahme nachgereicht hat. In dieser wird nicht mehr die Gefahr eines Völkermords als Kriegsgrund genannt, sondern nur noch das Selbstverteidigungsrecht aus Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Deshalb sei der IGH für den Fall nicht zuständig, da Russland nicht generell unterworfen sei.
Warum war die Eilentscheidung trotz der grundsätzlichen Nichtanerkennung Russlands durch den Gerichtshof möglich?
Dies liegt an der Art des Rechtsstreits. Sowohl Russland als auch die Ukraine haben die “Völkermord-Konvention” ratifiziert. Laut Konvention ist der IGH zuständig für Streitigkeiten, die diese betreffen.
Die Ukraine nutzte geschickt die russischen Argumente vom vermeintlichen Völkermord, um den Gerichtshof für diesen konkreten Fall zuständig zu machen.
Welche Rolle spielt der IStGH gerade?
Karim Khan ist der Chefankläger des IStGH und untersucht bereits seit 2014 mögliche Kriegsverbrechen in der Ukraine. Hintergrund sind die Besetzung der ukrainischen Halbinsel Krim und der Konflikt in der Ostukraine.
Diese Ermittlungen sollen nun auch “alle neuen mutmaßlichen Verbrechen” umfassen, die auf dem Gebiet der Ukraine begangen werden und in die Zuständigkeit des IStGH fallen.
Warum kann der IStGH ermitteln, obwohl Russland und die Ukraine keine Vertragsstaaten sind?
Obwohl Russland und die Ukraine dem IStGH nicht beigetreten sind, kann der Gerichtshof mögliche Verbrechen auf dem Gebiet der Ukraine untersuchen. Denn die Ukraine hat 2014 und 2015 nach der Annexion der Krim zwei Erklärungen abgegeben, die eine sogenannte ad-hoc-Anerkennung beinhalten. Damit hat sie bis heute Ermittlungen auf ihrem Staatsgebiet erlaubt. Ermittlungen wegen des Delikts “Aggression” sind jedoch über diesen Weg rechtlich nicht möglich und daher ausgenommen.
Wie realistisch ist es, dass russische Verantwortliche vor Gericht in Den Haag landen?
Kurzfristig ist dies wohl unrealistisch. Mittel- und langfristig kann der IStGH jedoch Haftbefehle erlassen. Der Gerichtshof verfügt zwar nicht über eine eigene Polizei, die jemanden in Russland verhaften könnte, aber mögliche Beschuldigte müssten dennoch gut überlegen, in welche Länder sie reisen. Denn es besteht das Risiko, dort verhaftet zu werden. Die Voraussetzung dafür ist natürlich, dass Kriegsverbrechen gerichtsfest nachgewiesen werden können. Staatschefs genießen vor dem IStGH keine Immunität.
Warum ermittelt auch der deutsche Generalbundesanwalt wegen möglicher Kriegsverbrechen?
Nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch ist es möglich, dass der Generalbundesanwalt auch bei bestimmten Verbrechen ermittelt, die nicht in Deutschland begangen wurden und bei denen weder deutsche Täter noch Opfer involviert sind. Ein Beispiel dafür war der Koblenzer Prozess gegen syrische Geheimdienstmitarbeiter wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, der Anfang 2022 endete.
Damit solche Ermittlungen jedoch zu einem Strafprozess führen können, müssen sich die Beschuldigten in Deutschland aufhalten, wie es beim Syrien-Prozess der Fall war. Ob dies jedoch realistisch wird, lässt sich heute noch nicht absehen. In einem deutschen Strafverfahren würde ein amtierendes ausländisches Staatsoberhaupt jedoch rechtlich Immunität genießen. Bisher führt der Generalbundesanwalt keine konkreten Personen als Beschuldigte.