Ist das Zehnfingersystem noch notwendig oder überflüssig?

Ist das Zehnfingersystem noch notwendig oder überflüssig?

Das Zehnfingersystem zu beherrschen ist eine Fähigkeit, auf die viele stolz sind. Doch ist diese Methode wirklich effektiver als andere Tastschreibtechniken? Und ist es überhaupt noch notwendig, das Zehnfingersystem zu erlernen?

Die Ursprünge des Zehnfingersystems reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück. Es wurde angeblich vom Stenografen Frank Edward McGurrin erfunden. Seine Strategie, die Tastatur blind zu bedienen, hat sich über Generationen hinweg bewährt.

Das Prinzip des Zehnfingersystems ist einfach. Es gibt eine Grundposition, bei der die Finger der linken Hand die Tasten A, S, D und F abdecken, beginnend mit dem kleinen Finger auf dem A. Die Finger der rechten Hand liegen ab dem Zeigefinger auf J, K, L und Ö. Von dort aus bewegen sie sich nach oben oder unten zum nächstgelegenen Buchstaben. Die Daumen schweben über der Leertaste.

Zehnfingersystem hat trotz Schwächen klare Vorteile

Aber brauchen wir das System überhaupt noch? “Bisher haben wir keine bessere Methode entwickelt, um jemandem das Tastschreiben beizubringen. Daher ist es weiterhin die beste und einzige Methode, auf die wir zurückgreifen können”, fasst Anna Maria Feit zusammen.

Sie arbeitet am Lehrstuhl für Informatik an der ETH Zürich und beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Texteingabe. Obwohl sie persönlich nicht von der Methode überzeugt ist, hat sie “keine zu strenge Meinung”, da es keine geeigneten Alternativen gibt.

Das Zehnfingersystem hat jedoch nicht nur Vorteile: Laut Feit könnten wir im Deutschen einige Wörter wesentlich schneller eingeben, wenn die häufig verwendeten Buchstaben auf der Tastatur besser positioniert wären. Außerdem braucht man nicht unbedingt zehn Finger zum Tastschreiben. “Man könnte es auch mit sechs Fingern gut hinbekommen.”

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Tippgeschwindigkeit: Alternative Methoden sind nicht im Nachteil

In einer Studie aus dem Jahr 2016 untersuchte Feit mit anderen Forschern an der Aalto-Universität in Helsinki verschiedene Tastschreibstile und verglich sie mit dem Zehnfingersystem. Das Ergebnis zeigte, dass Teilnehmer, die eine eigene Technik entwickelt hatten, teilweise genauso schnell waren wie Zehnfingerschreiber. Allerdings schauten sie in der Studie deutlich häufiger auf ihre Finger und die Tastatur.

Dies wird auch von Regina Hofmann vom Deutschen Stenografenbund bestätigt. Sie kennt niemanden, der mit einer alternativen Methode blind tippt. “Beim Zehnfingersystem schaut man nicht mehr auf die Tastatur. Man weiß, welchen Weg die Finger gehen müssen.”

Das Zehnfingersystem hat gesundheitliche Vorteile

Das Beherrschen des Zehnfingersystems kann sich auch auf die Gesundheit auswirken, wie Thomas Brockamp, Präventionsexperte der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), betont. “Wenn man das Zehnfingersystem beherrscht, hat man eine strukturierte Handführung. Ähnlich wie bei einem Klavierspieler sollte darauf geachtet werden, dass das Handgelenk nicht abknickt.”

Je besser man im Tastschreiben ist, desto mehr kann man sich auf die richtige Haltung der Hand konzentrieren, erklärt der Facharzt. “Im Gegensatz dazu muss man ständig überlegen, wo sich der nächste Buchstabe befindet.”

Das Zehnfingersystem lernen – auf eigene Faust oder im Kurs

Es lohnt sich also, das Zehnfingersystem zu erlernen. Wer möchte, kann es sich selbst mit Hilfe von Fachbüchern oder Online-Schreibprogrammen beibringen. Auch Volkshochschulen bieten entsprechende Kurse an. Wie schnell jemand das Zehnfingerschreiben umsetzen kann, hängt jedoch vom individuellen Lerntyp ab.

“Lernen kann man die Grundlagen in vier Sitzungen”, erklärt Sopio Hagel von der Volkshochschule Wetzlar. Das entspricht insgesamt zwölf Unterrichtsstunden. “Natürlich vorausgesetzt, dass die Teilnehmer dranbleiben und regelmäßig zu Hause üben.”

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Volkshochschulen bieten schon seit langem auch Kurse für Kinder und Jugendliche an. Regina Hofmann sieht darin einen Vorteil: “Je früher man das Zehnfingerschreiben lernt, desto besser kann man es einsetzen.”

Selbst Anna Maria Feit hält dies, trotz ihrer Skepsis, für wichtig. “Ich habe schon Jugendliche getroffen, die sagten, sie hätten kein Tastatur mehr oder würden praktisch nie darauf schreiben. Sie benutzen stattdessen ihr Handy.” Dabei ist das Zehnfingerschreiben im Berufsleben unverzichtbar.

Im Berufsleben wird immer noch viel getippt

Die Bundesagentur für Arbeit listet verschiedene Berufe auf, bei denen das Zehnfingerschreiben unbedingt erforderlich ist, wie z.B. Datenerfasser, Sekretäre oder Anwalts- und Notarfachangestellte.

Obwohl diese Fähigkeit in vielen anderen Bürojobs weniger wichtig ist, gewinnen Sprachassistenten und Transkriptionsprogramme zunehmend an Bedeutung. Dennoch ist Jan Kluczniok von dem Online-Portal “Netzwelt” der Meinung, dass das Erlernen des Zehnfingersystems dadurch nicht überflüssig wird.

Die Verwendung entsprechender Software ist schließlich nicht in jedem Job möglich, z.B. in einem Großraumbüro. Beim Verfassen längerer Texte ist es also auch in Zukunft notwendig, eigenständig Korrekturen oder Änderungen vorzunehmen. Das gelingt mit zehn Fingern deutlich schneller.

Zehnfingersystem