Bisher habe ich mich immer ganz selbstverständlich als Feministin bezeichnet. Als Frau war es für mich naheliegend, mich für die Quote, die Lohngleichheit und andere feministische Anliegen einzusetzen. Doch dann stieß ich auf Jessa Crispins feministisches Manifest mit dem provokanten Titel “Warum ich keine Feministin bin” und wurde zum Nachdenken angeregt.
Feminismus als Lifestyle-Label
Früher wurde der Feminismus mit skeptischem Blick betrachtet, als etwas “mannsweibisch” und “zu radikal”. Doch heutzutage ist Feminismus salonfähig geworden und wird sogar auf teuren Designer-T-Shirts und günstiger Mode gedruckt. Er ist zum Muss für die moderne, selbstbestimmte Frau von heute geworden, zu einem Lifestyle-Label.
Jessa Crispin, eine US-amerikanische Journalistin, Autorin und Gründerin des Blogs Bookslut, kritisiert genau diese Einstellung in ihrem Buch. Frauen bezeichnen sich mittlerweile als Feministinnen, einfach weil sie Frauen sind. Dadurch wird jede ihrer Handlungen automatisch als feministisch angesehen. Frauen, die Karriere gemacht haben, bezeichnen ihren Erfolg als feministisch. Frauen, die Erfolge verbuchen, tun dies unter dem Label des Feminismus.
Das Fehlen von Radikalität und Kollektivität
Crispin konstatiert, dass es bei diesem Mainstream-Feminismus mehr um Selbststärkung geht, als sich tatsächlich für die Rechte aller Frauen einzusetzen. Sie kritisiert den modernen Feminismus wegen seines Egoismus und seinem Mangel an Radikalität und Kollektivität. Die individuellen Erfolge einzelner Frauen sind keine Fortschritte für die gesamte weibliche Gemeinschaft, sondern nur für sich selbst.
Im Buch zieht Crispin immer wieder Vergleiche zu Feministinnen der zweiten Welle, wie beispielsweise Andrea Dworkin. Diese Frauen haben mit ihren Essays wirklich etwas bewirkt und Diskussionen angestoßen. Für Crispin möchte der Mainstream-Feminismus das augenscheinliche Problem nicht wirklich ändern, sondern einfach mehr Frauen innerhalb des dysfunktionalen Systems nach oben bringen – jedoch innerhalb der patriarchalen Spielregeln. Es ist offensichtlich, dass dies nicht funktionieren kann.
Ein Buch der Denkanstöße
Jessa Crispins Buch bietet keine konkreten Lösungen, aber es regt zum Nachdenken an. Es zeigt, dass der Feminismus nicht entgleiten darf und wieder radikaler werden muss, um tatsächlich das System zu verändern. Crispins Werk kann als impulsive Streitschrift betrachtet werden, die ihre innere Wut zum Ausdruck bringt – wütend im positiven Sinn.
Ich muss zugeben, dass ich kein aktiver Kämpfer für die Rechte der Frauen bin und somit keine Feministin im eigentlichen Sinne. Dennoch lasse ich mir meine feministische Grundeinstellung nicht absprechen. Vielleicht ist das schon einmal ein Anfang.
Übrigens hat die taz einen Podcast zum Jubiläum der Frauenbewegung ab 1968 produziert. Eine Folge beschäftigt sich mit dem Mainstream-Feminismus und hat Teresa Bücker, Chefredakteurin von Edition F, und Emily Laquer, Mitglied der Interventionistischen Linken, als Gäste. Der Podcast ist auf Spotify verfügbar und unglaublich interessant.
Jessa Crispin: Warum ich keine Feministin bin. Übersetzt von Conny Lösch. Suhrkamp, 145 Seiten, 12,95 Euro. Erschienen im Oktober 2018.
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