Die grundlegenden Fragen des Lebens nehmen keine Rücksicht auf das Alter. Im Gegenteil, Kinder stellen möglicherweise sogar häufiger Fragen wie “Woher kommen die Tiere?” oder “Warum gibt es uns Menschen?” als Erwachsene. Im Laufe unseres Lebens ändern sich jedoch die Antworten, die wir auf diese Fragen finden und von anderen akzeptiert bekommen. Das liegt daran, dass Verständnis immer auf dem aufbauen muss, was wir bereits wissen. Außerdem müssen die Antworten unseren Erwartungen entsprechen, die uns dazu motiviert haben, diese Fragen zu stellen.
Viele Bücher, die Kindern diese wissenschaftlichen Fragen beantworten wollen, konzentrieren sich hauptsächlich auf die Motivation. Sie geben einfache, alltagsnahe und aufregende Antworten, um das Interesse der jungen Leser aufrechtzuerhalten. Die Hoffnung dahinter ist, dass es ausreicht, Wissenschaft im Kindesalter mit positiven Emotionen zu verbinden, und die Präzision und Tiefe später von selbst kommen.
Eine völlig andere Strategie wählt der dänische promovierte Biologe und Rockmusiker Johan Olsen in seinem Buch “Warum gibt es uns? Die Entwicklung des Lebens vom Urknall bis zu dir”. Er behandelt in zwölf Kapiteln eine große Bandbreite komplizierter Themen: von den Grundlagen der Chemie über die Entwicklung des Universums und des Sonnensystems bis hin zur Quantenmechanik und Relativitätstheorie sowie der Entstehung und Entwicklung des Lebens.
Was das Buch besonders macht, ist jedoch nicht nur dieser thematische Umfang, sondern dass Olsen versucht, einen Spagat zwischen wissenschaftlicher Korrektheit und kindgerechter Vermittlung zu schaffen. Er erklärt Zusammenhänge wie die Beziehung zwischen Protonenzahl und dem Periodensystem, den Unterschied zwischen spezieller und allgemeiner Relativitätstheorie oder die Unterscheidung zwischen Bakterien, Archaeen und Eukaryoten. Dabei vermeidet er Fachausdrücke kaum. Falls eine Beschreibung streng genommen wissenschaftlich falsch ist, fügt der Autor eine einschränkende Formulierung hinzu oder ermutigt den Leser, sich später mit komplizierteren Details oder offenen Forschungsfragen auseinanderzusetzen.
Um die Nähe zur Wissenschaft zu verdeutlichen, verwendet Olsen eine sehr alltagsnahe und bildreiche Sprache. So erklärt er beispielsweise den Unterschied in der potenziellen Energie mithilfe von Tassen, die aus verschiedenen Höhen in eine Torte fallen und verschiedene Einschlagkrater erzeugen. Interferenzeffekte von Licht werden anhand von Ringwellen in einer Pfütze erklärt. Das Grundprinzip der allgemeinen Relativitätstheorie – die Äquivalenz von Schwerkraft und Beschleunigung – erklärt er damit, dass man in den Sitz gedrückt wird, wenn die Mutter im Auto beschleunigt. Die visuelle Gestaltung des Buches mit kleinen bunten Zeichnungen und wunderschönen ganzseitigen Illustrationen vor jedem Kapitel, erstellt von Lara Paulussen, ist dabei zweitrangig.
Bei den meisten Themen, besonders solchen, die sich nicht zu sehr in die theoretische Grundlagenforschung vertiefen, funktioniert das sehr gut. Ob ein Achtjähriger jedoch bereits von den kontraintuitiven und bizarren Eigenschaften der Quantenmechanik wie dem Welle-Teilchen-Dualismus begeistert sein kann, ohne ein festes Verständnis der klassischen Mechanik als Kontrast zu besitzen, ist nicht immer zu erwarten.
Im abschließenden Kapitel mit dem Titel “Die Wirklichkeit” gibt Olsen einen philosophischen Ausblick. Er offenbart den Schlüssel zu seiner pädagogischen Strategie: Wenn der Leser manchmal das Gefühl hat, nicht alles ganz verstanden zu haben, sollte er sich aber keine Sorgen machen. “Man kann Dinge nämlich auf unterschiedlichen Levels begreifen. Wie bei den Levels in einem Computerspiel.” Jeder kann sich das mitnehmen, was seinem eigenen Vorwissen und Interesse entspricht. Selbst wenn das Kind das Buch mit 16 Jahren noch einmal in die Hand nimmt, kann es die Erklärungen auf eine ganz andere Weise lesen und trotzdem noch nützlich finden.
Das Einzige, was dem möglicherweise im Weg steht, ist das, was andere Bücher oft überbetonen: die Förderung der Motivation zur Auseinandersetzung mit den Erklärungen und das Akzeptieren von Verständnisgrenzen.
In diesem Buch muss die Motivation größtenteils vom Leser selbst kommen. Es gibt keine Infografiken, Faltobjekte, VR-Animationen oder Rätselspiele, die diese Aufgabe übernehmen.
