Der Begriff “Kollektivismus” bezeichnet eine politische Theorie, die das Kollektiv als grundlegende Einheit der gesellschaftlichen Autorität betrachtet. Im Gegensatz zum Individualismus, der den Einzelnen als den einzigen Anspruchsträger sieht, betont der Kollektivismus die Bedeutung kollektiver Entitäten wie Nationen oder Rassen, denen eigenständige normative Ansprüche zugesprochen werden.
Die verschiedenen Verwendungsweisen des Kollektivismus
Es gibt zwei Hauptverwendungen des Kollektivismusbegriffs, die sich in ihrem Verständnis des “Kollektivs” unterscheiden. Erstens wird der Begriff verwendet, um eine politische Theorie der Selbstorganisation zu beschreiben, bei der das Kollektiv als Institution zwischen Staat und Individuum die Quelle politischer Autorität darstellt. Zweitens wird er als Sammelbegriff für Positionen verwendet, die die Existenz kollektiver Entitäten betonen und ihnen die letzte politische Autorität gegenüber ihren Mitgliedern zuschreiben.
Die Rolle des Kollektivismus in der politischen Diskussion
Obwohl der Kollektivismus historisch betrachtet von geringer Bedeutung ist, diente er als polemischer Sammelbegriff, um Kommunismus, Faschismus und Nationalsozialismus einen gemeinsamen philosophischen Kern zuzuschreiben. In diesem Zusammenhang wurde der Kollektivismus als normative Position verstanden, die den Interessen des Kollektivs Vorrang vor den individuellen Ansprüchen einräumt. Die verschiedenen Varianten des Kollektivismus unterscheiden sich darin, welches Kollektivsubjekt sie als maßgeblich betrachten, sei es das Volk, die Nation oder die Arbeiterklasse.
Die politische Bedeutung des Kollektivismus
Der Begriff des Kollektivismus wurde auf dem Basler Kongress der Internationalen im Jahr 1869 von Michail Bakunin in die politische Debatte eingebracht. Bakunin suchte nach einem Weg, die individuelle Freiheit mit den Bedürfnissen und Angelegenheiten der Gesellschaft in Einklang zu bringen. Im Gegensatz zur autoritären Strömung innerhalb der Internationale, die von Karl Marx vertreten wurde, und dem Mutualismus, der von Pierre-Joseph Proudhon entwickelt wurde, sah Bakunin das Kollektiv als entscheidende Einheit zwischen Individuen und Staat an. In seiner Vision sollten Kollektive, die sich auf freiwilliger Basis zusammenschließen, über Eigentum und wirtschaftlichen Ertrag verfügen.
Der Kollektivismus als philosophische Grundlage
Im 20. Jahrhundert erlangte der Begriff des Kollektivismus als polemische Sammelbezeichnung für politische Strömungen eine gewisse Relevanz. Autoren wie Karl Popper, Isaiah Berlin und Ludwig von Mises thematisierten den Gegensatz zwischen Kollektivismus und Individualismus in ihren Schriften. Popper beschreibt den Kollektivismus als eine Lehre, die die Bedeutung des Kollektivs oder der Gruppe gegenüber dem Individuum hervorhebt. Kritiker des Kollektivismus argumentieren, dass er einen zu starken Fokus auf Gruppeninteressen legt und die individuellen Rechte vernachlässigt.
Insgesamt ist der Kollektivismus ein kontroverses Thema in der politischen Diskussion und Gesellschaftstheorie. Die Auseinandersetzung mit dieser politischen Theorie ermöglicht es, die Spannung zwischen individueller Freiheit und kollektiven Interessen zu reflektieren und zu hinterfragen.