Die Proteste der “Letzten Generation” haben zu einer hitzigen Debatte über die Legitimität von Protestaktionen geführt. Die Union im Bundestag hat eine Verschärfung des Strafrechts gefordert und behauptet, dass es sich hierbei nicht um politische Aktionen, sondern um Straftaten handelt. Der Frankfurter Strafrechtler Fynn Wenglarczyk äußert sich dazu im folgenden Interview.
Protestaktionen und strafrechtliche Konsequenzen
Protestaktionen wie Sitzblockaden oder das Bewerfen von Kunstwerken mit Lebensmitteln sind nach dem Gesetz strafbar. Allerdings können Sitzblockaden auch als zulässige Versammlungen im Rahmen des Zivilen Ungehorsams betrachtet werden. Dabei ist es das Ziel, bewusst eine Straftat zu begehen und die Konsequenzen dafür zu tragen, um ein politisches Zeichen zu setzen.
Die Legitimität von Protestmitteln
Im Zusammenhang mit den Protesten stellt sich die Frage nach der Legitimität bestimmter Protestmittel. Für den Klimaschutz einzustehen und sich in Form von Sitzblockaden zu engagieren, wird von vielen als moralisch legitim betrachtet. Sitzblockaden sind historisch als friedliche Protestform anerkannt und spiegeln die gemeinschaftlichen Anliegen des Klimaschutzes wider. Allerdings gibt es auch hier Grenzen. Die Blockade am Flughafen Berlin wurde von Jurist:innen möglicherweise als unverhältnismäßig angesehen. Strafrechtlich ist diese Form des Protests nicht legitim. Der Gesetzgeber kann nicht einerseits seine Untätigkeit bezüglich des Klimaschutzes als legitim erklären und andererseits den Protest in Form von Straftaten dagegen verurteilen. Das wäre ein Widerspruch.
Härtere Strafen: Eine destruktive Eskalation
Oft reagiert die Politik mit der Forderung nach einer Verschärfung des Strafrechts auf neue gesellschaftliche Phänomene. Man erhofft sich dadurch eine Abschreckungswirkung. Allerdings zeigt die kriminologische Forschung, dass härtere Strafen keine abschreckende Wirkung haben. Effektiver ist eine höhere Wahrscheinlichkeit der Entdeckung von Straftaten und das Bewusstsein potenzieller Täter:innen für die Sinnhaftigkeit strafrechtlicher Verbote. Die Protestierenden lassen sich jedoch nicht abschrecken und möchten mit der Missachtung der strafrechtlichen Verbote ein politisches Symbol setzen. Eine Eskalation mit noch härteren Strafen wäre destruktiv für unsere Gesellschaft.
Die Konstruktion eines Feindbildes
Die Politik hat in Bezug auf die Proteste der “Letzten Generation” oft den Fokus auf das Strafrecht gelegt und sich von der inhaltlichen Diskussion über den Klimaschutz entfernt. Indem man die Protestierenden als Straftäter:innen bezeichnet, möchte man ein Feindbild konstruieren, mit dem man nicht diskutieren muss. Diese Strategie ist jedoch fragwürdig und lenkt von den eigentlichen Anliegen der Protestierenden ab.
Klimaaktivist:innen und Extremismus
Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen der RAF (Rote Armee Fraktion) und der sogenannten “Klima-RAF”. Die RAF hat undifferenziert Menschen getötet und sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gestellt. Die Klimaprotestierenden hingegen verfolgen gemeinschaftlich-demokratische Anliegen und setzen sich für den Klimaschutz ein.
Rechtfertigung des Klimawandels als Notstand
In einem aktuellen Urteil hat das Amtsgericht Flensburg den Klimawandel als rechtfertigenden Notstand gemäß Paragraf 34 des Strafgesetzbuches (StGB) anerkannt. Dies könnte zu einer Änderung der Rechtsprechung führen. Allerdings sind die Anforderungen an eine Rechtfertigung nach § 34 StGB sehr hoch. Es müsste festgestellt werden, dass die Gefahren des Klimawandels gegenwärtig sind und nicht zu einem späteren Zeitpunkt abgewendet werden können. Zudem müsste nachgewiesen werden, dass der Klimaprotest das mildeste Mittel unter anderen gleich effektiven Verhaltensweisen darstellt. Diese Wertungsfrage liegt letztendlich in der Entscheidung der Gerichte.
Sinnvolle Reaktionen der Politik
Anstelle einer Verschärfung des Strafrechts sollte der Hintergrund der Protestaktionen stärker berücksichtigt werden. Es wäre sinnvoller, anstatt Strafen zu verhängen, den Protestierenden Auflagen zu geben, sich gemeinnützig zu betätigen. Diese Auflagen könnten im Zusammenhang mit dem Klimaschutz stehen und mehr bewirken als Freiheits- oder Geldstrafen.