Jeder hat schon mal von der goldenen Regel gehört: “Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst.” Aber was bedeutet das eigentlich? In der Bibel wird diese Regel im Markus Evangelium genannt, als Jesus von einem Schriftgelehrten nach dem wichtigsten Gebot gefragt wird. Jesus antwortet: “Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft. Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden.”
Das klingt zunächst einfach, aber was bedeutet es wirklich? Ein Schriftgelehrter wäre sicherlich in der Lage, diese Frage zu beantworten. Aber ich habe mich entschieden, meine 14-jährige Praktikantin Chantal in diese Diskussion einzubeziehen. Ich denke, es ist wichtig, die Perspektive der jüngeren Generation zu hören. Also frage ich Chantal: “Was bedeutet ‘Liebe deinen Nächsten wie dich selbst’ für dich?”
Chantal muss einen Moment nachdenken, bevor sie antwortet. Sie sagt: “Gar nicht so einfach, aber wenn alle Menschen nach diesem Gebot leben würden, würde jeder jeden annehmen, wie er ist, und es gäbe keinen Krieg oder Streit, sondern Frieden.”
Das klingt nach einer typischen Antwort für den Religionsunterricht, aber es ist zu oberflächlich. Also versuchen Chantal und ich genauer über das Thema nachzudenken.
Ich frage Chantal, was sie sich selbst Gutes tut. Sie nennt Sport, Schlaf, besondere Leckereien, schöne Kleidung, Schmuck und sogar das Lernen. Nun überlegen wir, was es bedeuten würde, wenn andere Menschen dasselbe tun könnten. Was braucht es, damit jeder diese Dinge haben kann?
Um sich schöne Kleidung oder Schmuck kaufen zu können, braucht man Geld und die Möglichkeit, zu arbeiten. Um Essen zu bekommen, braucht man ebenfalls Geld oder Zugang zu Nahrungsmitteln. Für Sport braucht es nur Motivation und die Möglichkeit, sich zu bewegen. Lernen macht Spaß, aber es braucht gute Lehrer und ein gutes Bildungssystem. Und für einen guten Schlaf braucht es ein sicheres Umfeld.
Wir erkennen schnell, wie komplex die Situation ist, wenn man die gesamte Menschheit betrachtet. Aber diese Erkenntnis ist wichtig, wenn wir politische Entscheidungen treffen oder Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen. Aber es bedeutet auch, gut mit unseren Freunden, der Familie und unserem Umfeld umzugehen. Unsere Mitmenschen sollten wir genauso respektieren und lieben wie uns selbst.
Was bedeutet das konkret? Es lohnt sich, darüber nachzudenken, genauso wie Chantal und ich es getan haben.
Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag von Pastoralreferentin Eva Schumacher.