Retter in der Not oder Nutznießer des Leids anderer? Diese Frage stellt sich in der aktuellen Krise besonders in Bezug auf das Verhältnis zwischen Gastronomen und Lieferdiensten. Während sich die Essenskuriere gerne als Retter einer ganzen Branche inszenieren, fühlen sich viele Restaurantbesitzer von den großen Anbietern wie Lieferando und Wolt eher ausgenutzt. Doch welche Kritikpunkte haben die Gastronomen? Und gibt es Alternativen zur Zusammenarbeit mit den Lieferdiensten?
Drei Kritikpunkte der Gastronomen
Unter Berliner Gastronomen herrscht großer Unmut gegenüber den Platzhirschen unter den Lieferdiensten, Lieferando und Wolt. Viele fühlen sich weniger gerettet als vielmehr über den Tisch gezogen. Vor allem drei Kritikpunkte werden immer wieder genannt: die Höhe der Provisionen, Eingriffe in die Preisstruktur und eine intransparente Kostenstruktur.
Die 30 Prozent Provision stellen für viele Gastronomen die gesamte Marge dar und sind kaum zum Überleben ausreichend. Zusätzlich verbieten sowohl Wolt als auch Lieferando den Restaurants, die Preise anzuheben, um trotz der hohen Provision wirtschaftlich arbeiten zu können. Dies führt zu einer intransparenten Kostenstruktur, bei der es Beispiele für Restaurants gibt, die von Wolt nur 25 Prozent Liefergebühr zahlen müssen und gleichzeitig ihre Preise auf der Plattform erhöhen können, während für Selbstabholer die alten Preise gelten. Viele Gastronomen sehen sich dadurch gezwungen, an der Qualität der Zutaten zu sparen.
Wolt und Lieferando mit Sonderaktionen im Lockdown
Wolt und Lieferando reagieren auf die Kritik mit Sonderaktionen im Lockdown. Bei Lieferando zahlen Bestandsrestaurants derzeit nur 75 Prozent der üblichen Lieferprovision und neue Restaurants können die Plattform in den ersten vier Wochen kostenlos nutzen. Wolt senkt die Lieferprovision um 1,50 Euro und erlässt die Provision für Selbstabholer-Bestellungen. Doch die Frage bleibt, ob diese Maßnahmen ausreichen, um die Probleme der Gastronomen zu lösen.
Dehoga rät von Zusammenarbeit mit Lieferdiensten ab
Der Deutscher Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) hält wenig von den Lock-Angeboten der Lieferdienste. Ingrid Hartges, die Hauptgeschäftsführerin des Verbands, weist auf die intransparente Kostenstruktur und den Eingriff in die Preispolitik der Restaurants hin. Sie empfiehlt den Gastronomen, wenn möglich, eigene Vertriebswege zu nutzen und den Abholservice selbst anzubieten. Denn die 30 Prozent Provision seien für die meisten Gastronomen nicht tragbar. Außerdem besteht die Sorge, dass die Lieferdienste alle Daten behalten und den Restaurants dadurch die gesamte Wertschöpfung entziehen könnten.
Es geht auch ohne Lieferdienste
Jonathan Margulies, Inhaber des Restaurants “Magic John’s”, hat sich gegen die Zusammenarbeit mit Lieferplattformen entschieden. Er liefert seine New-York-Style-Pizza selbst aus, weil er den direkten Kontakt zum Kunden schätzt. Finanziell lohnt sich die Zusammenarbeit mit Wolt oder Lieferando für ihn nicht, da die 30 Prozent Gebühr zu hoch sind. Doch er stellt fest, dass es für Restaurants ohne starken Alleinstellungsmerkmal schwer ist, im Internet überhaupt gefunden zu werden. Dennoch können die Preise nicht so stark angepasst werden, dass sich die Zusammenarbeit mit den Lieferdiensten lohnt.
Die Kritik der Gastronomen an Lieferando und Wolt ist daher berechtigt. Die hohen Provisionen, Eingriffe in die Preisstruktur und eine intransparente Kostenstruktur stellen für viele Restaurants eine Belastung dar. Es bleibt abzuwarten, wie die Gastronomen auf die Sonderaktionen der Lieferdienste reagieren und ob sich Alternativen zur Zusammenarbeit mit den großen Anbietern durchsetzen werden.