In den Sommermonaten des Jahres 2018 erlebte die Stadt Chemnitz eine bundesweite Mobilisierung der radikalen Rechten. Die Bilder davon sind vielen von uns noch präsent. Der Tod von Daniel H. wurde von der radikalen Rechten instrumentalisiert und führte zu einem Großaufmarsch, bei dem Vertreter der parlamentarischen Rechten öffentlich mit gewaltaffinen Neonazis zusammenarbeiteten. Doch warum gelang es der radikalen Rechten in Chemnitz, über Tage hinweg zu mobilisieren und die Stadt zu dominieren, während ähnliche Proteste in Köthen nur wenige Wochen später weitgehend erfolglos blieben?
Diese und weitere Fragen wurden im Rahmen des Workshops “Rechtes Denken, rechte Räume?” im Oktober 2018 diskutiert. Die Veranstaltung fand im Rahmen des NRW-Dialogforums des Forschungsinstituts für gesellschaftliche Weiterentwicklung statt. Ausgewählte Beiträge des Workshops wurden nun von den Organisatoren Lynn Berg und Jan Üblacker in einem Buch veröffentlicht, das frei zugänglich ist.
Der Sammelband mit dem Untertitel “Demokratiefeindliche Entwicklungen und ihre räumlichen Kontexte” widmet sich nicht nur den lokalen Mobilisierungen der Rechten, sondern untersucht auch die räumlichen Aspekte rechter Orientierungen, Akteure und Diskurse. Dabei werden zwei zentrale Fragen in den Fokus gerückt: Wie beeinflussen räumliche Faktoren die Entstehung rechter Einstellungen? Und wie entstehen durch solche Einstellungen rechte oder demokratieferne Räume? Zudem wird die Frage nach der praktischen Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis gestellt. Der Sammelband ist in drei Teile gegliedert: Eine Einführung, zwei Buchteile mit insgesamt acht Beiträgen, die sich mit den analytischen Fragen befassen, und ein abschließender Teil mit Interviews von Akteuren, die sich vor Ort mit dem gesellschaftlichen Rechtsruck auseinandersetzen.
Der Aufbau des Buches zeugt von der aktiven Rolle der Herausgeber. Sie schaffen einen konzeptionellen Rahmen zur Erfassung räumlicher Aspekte rechter Orientierungen und strukturieren das Feld entlang verschiedener Ebenen. Dabei wird deutlich, dass die Sammlung eine Vielzahl relevanter Aspekte der aktuellen Forschung behandelt.
Die meisten Beiträge des Buches basieren auf konkreten Fallstudien, die in deutschen Großstädten durchgeführt wurden. Die Autoren stammen hauptsächlich aus den Sozial- und Politikwissenschaften, aber auch Stadtplanung, Geografie und Sozialarbeit sind vertreten. Die Beiträge präsentieren empirische Ergebnisse aus verschiedenen Forschungsprojekten und beleuchten unterschiedliche Aspekte der räumlichen Dynamiken rechtsextremer Entwicklungen.
Einige der Beiträge zeigen, dass die Suche nach Gelegenheitsstrukturen für rechte Erfolge im Fokus steht. Es gibt jedoch auch Untersuchungen, die spezifische raumbezogene Dynamiken identifizieren. Diese Fallstudien zeigen, wie analoge und digitale Räume politische Polarisierung vor Ort bedingen können oder wie lokale Problemlagen und verschobene Debatten zusammenwirken. Die empirischen Untersuchungen werfen wichtige Fragen auf und regen zu weiterer Forschung an.
Der Sammelband eignet sich für verschiedene Lesergruppen. Er bietet einen Überblick über den aktuellen Stand der Debatte und präsentiert vielfältige Theorien zur Erklärung räumlicher Aspekte rechter Erfolge. Für Praktiker bieten die Interviews mit Akteuren aus der Zivilgesellschaft interessante Einblicke. Letztendlich vermittelt der Sammelband ein besseres Verständnis für die Komplexität und die lokalen Spezifika des Problems rechtsextremer Mobilisierung.