Gedichte sind kunstvolle Werke der Sprache, die mit Symbolik und Bildsprache arbeiten. Sie erfordern daher eine besondere Interpretation. Zu den lyrischen Mitteln gehören Klangfiguren, ungewöhnliche Satzstellungen, sprachliche Bilder und Sinnbilder.
Klangfiguren
Klangfiguren basieren auf Lauten:
- Assonanz (Halbreim): Gleichklang der Vokale ab der letzten betonten Silbe (z.B. schweifen / leise).
- Alliteration: Gleichklang der betonten Anfangslaute von zwei oder mehr Wörtern (z.B. Wechsel weniger Wörter).
- Onomatopöie (Lautmalerei): sprachliche Nachahmung natürlicher Geräusche zur Verstärkung des sinnlichen Eindrucks (z.B. Kuckuck, summen).
- Häufung gleichartiger Vokale: Wiederholung von dunklen bzw. dumpfen Vokalen (a, o, ö, u, au) oder hellen Vokalen (e, i, ü); eine Wirkung entsteht bei ungewöhnlicher Häufung betonter heller oder dunkler Vokale.
- Paronomasie: Wortspiel mit ähnlich klingenden Wörtern (z.B. Das Haus war unbezahlt, nicht aber unbezahlbar).
Klangfiguren auf der Basis von Wortwiederholungen:
- Refrain (Kehrreim): die regelmäßige Wiederholung eines Verses oder mehrerer Verse; der Refrain befindet sich meist am Ende einer Strophe.
- Anapher: mehrere Verse oder Sätze beginnen mit dem gleichen Wort oder Satzteil (z.B. Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll, Goethe).
- Epipher: Wiederholung eines Wortes am Ende aufeinanderfolgender Satzteile oder Sätze (z.B. Ihr überrascht mich nicht, erschreckt mich nicht, Schiller).
- Polypoton: Wiederholung des gleichen Wortes in verschiedenen Flexionsformen (z.B. Wenn mancher Mann wüsste, wer mancher Mann war, gäbe mancher Mann manchem Mann manchmal ein Jahr).
Klangfiguren haben verschiedene Funktionen und dienen beispielsweise der Hervorhebung wichtiger Wörter, der Gliederung des Textes, der Kennzeichnung von Versenden, der Erzeugung von Klangbrücken und der Abbildung von Realitäten.
Ungewöhnliche Satzstellungen
Der Satzbau in Gedichten weicht oft von der Norm ab. Veränderungen der Wortfolge sind notwendig, um das Metrum einzuhalten. Ungewöhnliche Satzstellungen und auffällige Wiederholungen erzeugen zusätzliche Strukturen, die das Gedicht gliedern und seine Bedeutung unterstreichen.
Inversion bezeichnet das Voranstellen von anderen Satzgliedern statt des Subjekts, das Nachstellen von Adjektiven, das Voranstellen von Genitivattributen und das Trennen von zusammengehörenden Wörtern durch andere Satzteile.
Ellipse bezeichnet das Weglassen von Wörtern, die zur Bildung eines vollständigen Satzes notwendig sind und leicht aus dem Kontext erschlossen werden können. Dadurch kann die Erregung des Sprechers betont werden, und der Leser wird zur intellektuellen Mitarbeit herausgefordert.
Prolepse bezeichnet die Unterbrechung des Satzes. In manchen Gedichten wird der Satz nach einem Nomen abgebrochen und anschließend mit dem passenden Pronomen aufgenommen und zu Ende geführt. Das hebt das einleitende Satzglied hervor und dient der Einhaltung des Metrums oder als Verständnishilfe.
Stilmittel der Wiederholung
Stilmittel der Wiederholung und Variation verdeutlichen die innere Gliederung von Gedichten. Sie schaffen Einheitlichkeit und tragen dazu bei, dass Gedichte als harmonisch und abgerundet empfunden werden. Insbesondere in der modernen Lyrik sind Wiederholungen wichtig, um freien Versen einen poetischen Charakter zu geben und sie von alltäglicher Prosa abzusetzen.
Sprachliche Bilder
Sprachliche Bilder sind eine Form des uneigentlichen Sprechens. Sie bringen etwas anderes zum Ausdruck als das, was sie normalerweise bezeichnen.
- Metapher: Eine Bildvorstellung wird auf eine andere übertragen, wodurch Ausdrücke mit neuer Bedeutung entstehen.
- Vergleich: Zwei Gegenstände oder Bereiche werden miteinander verbunden, um etwas Gemeinsames auszudrücken.
- Chiffre (absolute Metapher): Rätselhafte Bilder ohne erkennbaren Bezug zur Wirklichkeit.
- Tropen: Wörter oder sprachliche Wendungen, die im übertragenen, bildlichen Sinne gebraucht werden.
- Personifikation: Nicht menschliche Erscheinungen oder abstrakte Begriffe werden als menschlich handelnde und fühlende Wesen dargestellt.
- Synästhesie: Eindrücke wesensverschiedener Dinge werden miteinander gekoppelt, z.B. Geruchsempfindungen mit Eindrücken des Tastsinns oder Klänge mit Farben.
Sprachliche Bilder schaffen in Gedichten eine gewisse Vieldeutigkeit. Bei der Interpretation ist es deine Aufgabe, die abweichende Bedeutung im Textzusammenhang zu klären und in Bezug auf die Aussage des Gedichts zu deuten.
Sinnbilder: Allegorie und Symbol
Um das zentrale Bild eines Gedichts zu deuten, muss man die beiden Grundformen kennen: das einfache Bild und das Sinnbild. Das einfache Bild meint nicht mehr, als es sagt, während das Sinnbild mehr und anderes ausdrückt als es sagt. Hinter der wörtlichen Bedeutung eines Sinnbildes verbirgt sich eine weitere Aussage. Bei Sinnbildern unterscheidet man zwischen Allegorie und Symbol.
- Allegorie: Verbildlichung von abstrakten Begriffen, wobei der Autor zuerst eine allgemeine Idee hat und dazu passende Bildteile konstruiert.
- Symbol: Ein bildhaftes Zeichen (Gegenstand, Person oder Geschehen) mit abstrakter Bedeutung, wobei der Autor in einem anschaulichen Bild eine allgemeine Idee erkennt.
Indem du die Grundlagen der lyrischen Klangfiguren verstehst und dich mit den verschiedenen sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten vertraut machst, kannst du Gedichte besser interpretieren und ihre Schönheit und Aussagekraft noch intensiver genießen.