Egal ob Mädchen oder Junge – die Grundprinzipien des Lernens gelten für alle: Konditionierung, Modelllernen und das Verstehen sowie Speichern neuer Informationen. Dennoch gibt es Unterschiede im schulischen Lernerfolg zwischen den Geschlechtern.
Verschiedene Kompetenzen in verschiedenen Bereichen
Standardisierte Tests zeigen, dass Mädchen im sprachlichen Bereich oft besser abschneiden als Jungen. Auf der anderen Seite sind Jungen den Mädchen in den naturwissenschaftlichen Fächern – wenn auch nicht in allen Studien – überlegen.
Mädchen schätzen ihre eigenen Fähigkeiten oft schlechter ein als Jungen, obwohl ihre tatsächlichen Kompetenzen oft höher sind. Besonders in den naturwissenschaftlichen Fächern ist diese Diskrepanz deutlich zu erkennen.
Wenn sie die Möglichkeit haben, zum Beispiel bei der Wahl der Leistungskurse, entscheiden sich Mädchen eher für sprachliche Fächer, während Jungen eher zu den MINT-Fächern tendieren.
Noten und Bildungszertifikate
Mädchen erhalten in der Regel bessere Noten als Jungen, auch wenn man ihre tatsächlichen Kompetenzen berücksichtigt. Das erklärt auch, warum sie an niedrigeren Schulformen unterrepräsentiert sind, während sie an höheren Schulen überrepräsentiert sind und mehr Bildungszertifikate erlangen.
Diese Unterschiede zeigen sich, obwohl Jungen und Mädchen im Durchschnitt gleich intelligent sind. Könnte es also sein, dass sich die Geschlechter tatsächlich im Lernverhalten unterscheiden? Es gibt tatsächlich gut belegte empirische Unterschiede zwischen den Geschlechtern.
Geschlechtsunterschiede in der Lernmotivation
Kinder entwickeln Geschlechtsstereotype, also Vorstellungen davon, wie männliche und weibliche Personen sein sollten. Sie wollen diesen Stereotypen entsprechen und beschäftigen sich daher vor allem mit Aktivitäten, die angeblich zu ihrem Geschlecht passen. Dies legt den Grundstein für geschlechtsabhängige Selbsteinschätzungen und Vorlieben in der Schule, die letztendlich zu den Unterschieden in den Kompetenzen führen.
Selbststeuerung und Lernerfolg
Mädchen zeigen oft frühzeitig ein höheres Maß an Selbststeuerung als Jungen. Selbststeuerung bedeutet, dass sie sich Ziele setzen, Pläne zur Zielerreichung entwickeln und ihre Fortschritte überwachen. Ein Mangel an Selbststeuerung geht oft mit schlechten Noten einher und kann auch aggressives Verhalten bei Jungen erklären. Eine geringere Selbststeuerungskompetenz bei Jungen könnte also der Grund dafür sein, dass Mädchen bessere Noten erhalten und häufiger für höhere Schulformen empfohlen werden, wo nicht nur selbstgesteuertes Lernen, sondern auch soziales Verhalten erwartet wird.
Was können Lehrkräfte tun?
Um eine Schule zu schaffen, in der Mädchen und Jungen ihre individuellen Kompetenzen frei von Geschlechtsstereotypen entwickeln können, sollten Lehrkräfte wissenschaftliche Erkenntnisse zu Geschlechtsunterschieden in ihrem Unterricht berücksichtigen. Es ist wichtig zu erkennen, dass Geschlechtsunterschiede maßgeblich durch Geschlechtsstereotype erzeugt werden und dass es wichtig ist, dass Lernende ihren Interessen und Aktivitäten nachgehen können, unabhängig davon, was als typisch für ihr Geschlecht angesehen wird.
Es kann auch sinnvoll sein, zeitweise in getrennten Geschlechtergruppen zu unterrichten, insbesondere in den Naturwissenschaften oder im Sport. Erfahrungen haben gezeigt, dass Selbsteinschätzungen bezüglich Fachbereichen oder Aktivitäten, die als untypisch für das eigene Geschlecht gelten, gestärkt werden, wenn vorherige Wissensdefizite in getrennten Geschlechtergruppen ausgeglichen werden können, bevor gemeinsam weitergelernt wird.
Lehrkräfte als Vorbilder
Lehrkräfte und Schulleitungen sollten auch kritisch hinterfragen, ob sie unterschiedliche Erwartungen gegenüber Mädchen und Jungen haben. Sie sollten sich bewusst sein, dass sie wichtige Vorbilder sind und durch ihr eigenes Verhalten entweder Geschlechtsstereotype bestärken oder zeigen können, dass man auch in für das eigene Geschlecht untypischen Bereichen kompetent und sozial akzeptiert handeln kann.
Gute Schulen fördern intrinsische Motivation, indem sie die Fremdsteuerung durch Lehrkräfte reduzieren. Die Entscheidung, wie viel Fremdsteuerung erforderlich ist, sollte jedoch von der bereits entwickelten Selbststeuerungskompetenz der Lernenden abhängen.
Eine realistische Selbsteinschätzung
Eine realistische Selbsteinschätzung ist eine Voraussetzung für selbstgesteuertes Lernen. Diese kann durch individuelles, kontinuierliches Feedback der Lehrkraft gefördert werden, das sich auf den Lernprozess anstatt auf das Lernergebnis konzentriert. Mädchen profitieren möglicherweise von ihrer bescheideneren Selbsteinschätzung, da sie dadurch mehr Zeit mit ihren Hausaufgaben verbringen als Jungen.
Ein Lerntagebuch kann ebenfalls eine hilfreiche Unterstützung für selbstgesteuertes Lernen sein, wenn es von der Lehrkraft begleitet wird. Darüber hinaus sollten Lehrkräfte auch in Lernsituationen, in denen Schülerinnen und Schüler selbstgesteuert arbeiten, unterstützende Funktionen übernehmen, z. B. indem sie Gruppenarbeitsprozesse vorstrukturieren oder Aufgaben formulieren, die verschiedene Phasen der Selbststeuerung beinhalten. Lernende mit geringerer Selbststeuerungskompetenz können von solchen Maßnahmen nicht nur beim Erwerb fachlicher Kompetenzen, sondern auch bei der Entwicklung sozialer Kompetenzen profitieren.