Mal die harte Tour, dann wieder Verständnis

Mal die harte Tour, dann wieder Verständnis

Manchmal macht man Dinge, die einen tief berühren. So auch für Frank Deuse, Obergerichtsvollzieher, den Schlosser und die Zeugin, als sie vor kurzem den tragischen Tod eines Schuldners entdeckten. “Er hing so komisch in den Knien, da wusste ich gleich, was los ist.” Frank kannte ihn bereits. “Er sollte geräumt werden und einen Platz im Obdachlosenheim kriegen.” Solche Besuche sind für Frank keine Seltenheit. Er hat oft mit alleinstehenden Männern zu tun, die am Rande der Gesellschaft leben.

Der Schlosser kniet auf dem Boden einer Wohnung in der Graefestraße im 3. Stock. Neben ihm liegt seine Werkzeugtasche. Er zieht den Bohrer heraus und setzt ihn direkt auf das Schloss. Frank beugt sich vor und klopft heftig gegen die Tür. Es herrscht Stille. “Nich, dasser wieder hängt.” Er gibt dem Schlosser ein Zeichen, und dieser bohrt los.

Die Tür öffnet sich langsam. Die Schlosser tritt zurück. Eine modrige Luftschlagt ihnen entgegen. Sie scheint eine gelblich-braune Farbe zu haben. “Ich sag mir immer, ich muss ja nichts anfassen. Meine Nase ist nicht sehr empfindlich”, sagt Frank und tritt ein. Der Mann von der Gasag folgt ihm. Der Zähler soll abgebaut werden. Doch der Mieter, den sie hier suchen, ist schon lange verschwunden. Der gewellte Billigteppich im Wohnzimmer ist voller Brandlöcher, nebenan liegt eine vergilbte Zeitung aus dem letzten Jahr und eine ausgetrocknete Kaffeetasse.

Was zeichnet einen Obergerichtsvollzieher im Vergleich zu einem Gerichtsvollzieher aus? “Das Alter. Sonst nischt. Icke bin seit 1972 dabei und im Endstadium. Ich kann mir jetzt erlauben, die 5-Tage-Woche einzuführen, während die jüngeren Kollegen fünf Tage wie die Amokläufer durch die Straßen jagen und zwei im Büro sitzen. Sie müssen sich ihre Beförderung noch verdienen.”

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Mit 27 Jahren Berufserfahrung hat Frank viel gelernt. “Man lernt zu sehen, wer ein Schlawiner ist und wo echte Armut herrscht. Mal braucht es die harte Tour, dann wieder Verständnis. Manche Schulden, sei es durch Scheidung oder Konkurs, kann man einfach nicht abbezahlen.”

Frank lässt eine Benachrichtigung auf dem Tisch des Schuldners liegen, der Schlosser setzt das Schloss wieder ein, sodass die Bohrung nicht mehr sichtbar ist, die Zeugin, eine junge Frau, die dafür 20 Mark in der Stunde erhält, geht die Treppe hinunter, und der Mann von der Gasag trägt den ausgebauten Zähler. Die Tür fällt zu.

Frank ist mit seinen 55 Jahren ein junger Mann. Schlank, in Jeans und Sweatshirt, über dem Schnurrbart wache, blaue Augen. Er erzählt gern Anekdoten aus seinem Berufsleben. “Da empfängt doch neulich ein Kunde die Kollegin völlig nackt. Er hatte sich nur eine Schlangenhaut um die Schultern gelegt, und vor seinem Teilchen hing eine Maske. Das Geld hatte er parat.” Bis 1990 war dieser Beruf eine Männerdomäne. “Als Frau stehst Du dann auch an der Front. Wenn nun doch mal einer zu Hause ist, mit dem Messer hinter der Tür steht? Aber die Frauen machen das sehr gut.”

In Riehmers Hofgarten findet eine Wohnungsräumung statt. Die Spedition wartet schon auf dem Hof. “Das ist die Firma meines Vertrauens. Da fehlt nix, wenn die fertig sind.” Der Hausmeister, ein Vertreter der Hausverwaltung, fünf Möbelpacker, der Schlosser, die Zeugin und Frank gehen voran. Der Hausflur ist halbdunkel. Fäuste donnern gegen die dicke Tür. Der Schlosser schaltet seine Taschenlampe ein. Frank sagt es gleich, nachdem er einen Fuß auf den dicken, weißen Teppich gesetzt hat: “Das ist keine Schuldnerwohnung.” Hundert Quadratmeter Helligkeit, tiefe Sofas, breite Betten, lange Vorhänge, Edel-Einbauküche, Champagner im Kühlschrank. Die Pflanzen sind vertrocknet, der Briefkasten ungeleert, die Staubschicht auf der Modellautosammlung dünn. “Hier ist etwas ganz und gar nicht in Ordnung.” Warum hat der Mieter, der Rechnungen in Höhe von einer halben Million Mark an einen Fernsehsender stellt, seine Miete nicht bezahlt? Fragen über Fragen.

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Der Mann von der Hausverwaltung ruft seine Chefin an, die auf Räumung besteht. Es wird 6000 Mark kosten, die Sachen abzutransportieren und einzulagern. Frank sieht sich die Briefe an: “Wir stürzen uns wie die Geier auf jeden Kontoauszug.” Die Möbelpacker nehmen ein Ölbild von der Wand und stellen das Sofa hochkant. Der Schlosser sitzt auf seinem Koffer und nickt ein. Innerhalb einer Stunde wird aus einer Luxuswohnung ein Haufen Möbel. Sogar der Teppich wird eingerollt und die Einbauküche abgebaut. Sollte der Besitzer jemals zurückkehren, wird ein anderer Name an der Klingel stehen. “Hier ist etwas nicht in Ordnung”, sagt Frank erneut und schüttelt den Kopf. Geschichten über Menschen. Die Hauptrolle bleibt unbesetzt, das Hab und Gut erzählt.

“In Berlin gibt es fast 300 Gerichtsvollzieher. In meinem Job herrscht immer Konjunktur. Nach der Grenzöffnung haben die Leute aus dem Osten Möbel rauf und runter bestellt.”

Es ist kurz vor vier. Frank kommt zu spät zur Sprechstunde. Der Schlosser küsst die Zeugin. Die Zeugin umarmt Frank, tschüs bis Montag.