Mama will doch nur dein Bestes!

Mama will doch nur dein Bestes!

Meine Mutter ist eine Meisterin des Imperativs – zumindest, wenn es um mich geht. Doch anstatt über Grammatik zu reden, geht es meistens darum, dass ich meine Hände waschen, einen Schal tragen, Obst essen, Klavier spielen oder mir endlich die Haare abschneiden sollte. Besonders die Haare sind ein langwährendes Streitthema. Meine Mutter ist der Meinung, dass ich mit langen Haaren genauso gut aussehen würde wie André Rieu, der Geiger mit den goldenen Locken. Seitdem bin ich skeptisch gegenüber langhaarigen Männern und Streichmusik.

Doch meine Mutter war unnachgiebig, wenn es um Orangensaft ging. Als Kind presste sie mir jeden Morgen frischgepressten Saft. Sie erklärte mir, dass Orangen viel Vitamin C enthalten und gut für das Immunsystem sind. Jeden Morgen hörte ich das laute und unangenehme Geräusch der elektrischen Saftpresse in der Küche, während das Fruchtfleisch oben auf dem Saft schwamm und eine seltsame Konsistenz hatte. Aber ich trank den Saft in einem Zug, denn Diskussionen brachten sowieso nichts. Sie hatte das Geld und den Internetzugang, also war sie in der besseren Position. Manchmal jedoch entwickelte sich ein rebellisches Ich in mir, das glaubte, dass die ganze Welt sich gegen mich verschworen hatte. In solchen Momenten fragte ich sie lautstark, warum sie mir das antut. Ihre kurze Antwort war immer: “Damit du gesund bleibst.”

Heute weiß ich, dass ihr Nerven nur einem Zweck dienten: Sie zeigte damit ihre Liebe. Ihre Antworten waren immer kurz und knapp. Warum einen Regenschirm benutzen? Damit ich nicht nass werde. Warum einen Apfel essen? Weil ich nicht von Pommes alleine leben kann. Warum Klavier spielen? Weil meine Finger mehr können als Playstation spielen. Und manchmal, wenn mich ihre knappe Lakonie besonders nervte, sagte sie: “Ich will nur das Beste für dich.” Heutzutage verstehe ich, dass ich als Kind manchmal undankbar war. Aber so sind Kinder eben.

LESEN  Die magische Kraft der Filmmusik – 15 legendäre Soundtracks

Vor einiger Zeit lud ich sie in die Oper ein – Rigoletto, Logenplätze, Sekt in der Pause. Doch anstatt im Staatstheater landeten wir zu Hause vor ihrem Kleiderschrank.

“So kannst du nicht gehen”, sagte ich.

“Was stimmt denn damit nicht?”, fragte sie und zupfte an ihrer Jeans und Regenjacke.

“Das ist Gartenkleidung!”

“Na und? Es ist doch dunkel im Saal.” Sie ging ins Bad und ich folgte ihr.

“Wann warst du das letzte Mal beim Friseur?”, fragte ich. “Deine Haare sind ganz trocken.”

Sie antwortete nicht.

“Welches Shampoo benutzt du? Bitte sag mir nicht, dass du diese chemische Mischung verwendest. Ich kenne ein veganes Shampoo, ich schicke es dir gerne-“

“Ich HABE ein Shampoo!”, rief sie und schubste mich aus dem Bad.

“Probier es doch wenigstens aus!”, erwiderte ich.

Im Auto sprachen wir kaum miteinander. Sie drückte sich tief in den Sitz und spielte auf ihrem Handy herum, während laute chinesische Musik aus den Lautsprechern dröhnte.

“Ich will doch nur das Beste für dich”, sagte ich. Sie verzog das Gesicht und zog die Regenkapuze über ihren Kopf.

Aber so sind Mütter eben.